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Wolkenkuckucksheim
Das Wolkenkuckucksheim
Wolkenkuckucksheim
Es war einmal ein Kuckuck, der lebte in einem Sonnenkuckucksheim. Er fühlte sich dort sehr wohl, so nah an der Sonne. Auch hatte er viele Freundinnen und Freunde, die auch Kuckucke waren. Doch eines schönen Tages beschloss er, auszuziehen, denn die viele Sonne wurde ihm mit der Zeit zuviel. So schön die Sonne auch war, so hatte er sich doch schon etliche Male die Federn verbrannt. Und immer nur gutes Wetter wurde ihm mit der Zeit zu langweilig. Er konnte sich eigentlich gar nicht mehr auf die Sonne freuen, weil sie sowieso jeden Tag schien. Er sehnte sich direkt nach schlechtem Wetter. Und so beschloss er auszuziehen und das schlechte Wetter zu suchen.
Er verabschiedete sich von seinen vielen Kuckucksfreundinnen und -freunden und flog los. Nachdem er eine Weile geflogen war, schien immer noch die Sonne. Plötzlich begegnete er einem Schwarm Schwalben. Er fragte sie nach dem schlechten Wetter. Doch sie antworteten nur: „Wir Schwalben, wir machen den Sommer; bei uns gibt es nur schönes Wetter. Wir wissen nicht, wo das schlechte Wetter ist. Tut uns leid.“ Dann flogen sie weiter.
Nach einiger Zeit sah er in weiter Ferne eine Möwe vor sich fliegen. Er bemühte sich, sie einzuholen, und langsam kam er näher und näher. Als er sie eingeholt hatte, fragte er: „Hallo Möwe, ich suche das schlechte Wetter. Kannst Du mir weiterhelfen?“ Die Möwe antwortete: „Hallo Kuckuck! Du suchst das schlechte Wetter? Dann komm mit mir! Ich fliege in den Norden, da ist oft schlechtes Wetter.“ – „Ehrlich?“, fragte der Kuckuck ungläubig. „Ja, ehrlich!“, entgegnete die Möwe und forschte weiter: „Aber was will denn zum Kuckuck ein Kuckuck im schlechten Wetter?“ – „Ich habe jahrelang in einem Sonnenkuckucksheim gelebt, da schien nur die Sonne. Das wird auf die Dauer auch langweilig!“, meinte der Kuckuck. „Ach so, ich verstehe“, gab die Möwe zurück, „ja, manchmal brauchst Du auch ein bisschen Regen und Wolken, das stimmt.“ – „Ja, ich sehne mich direkt danach!“, sagte der Kuckuck, und sie flogen gemeinsam weiter.
Nach unzähligen Stunden wurde der Himmel dunkler und dunkler. Der Kuckuck wurde unruhig und fragte: „Was ist denn das?“ – „Das? Das ist schlechtes Wetter“, gab die Möwe heiter zurück, „wir sind bald daheim. Da vorne sind schon die ersten Wolken. Die machen den Regen.“ Der Kuckuck hatte noch nie Regen gesehen, geschweige denn gespürt. „Aha“, machte er neugierig und flog weiter. Er war ganz aufgeregt, denn er wollte unbedingt mal Regen spüren. Dann sprach die Möwe: „So, lieber Kuckuck, ich glaube, wir müssen uns jetzt trennen. Ich fliege weiter zur Steilküste. Da ist es ungemütlich für Dich. Ich schlage Dir vor, Du baust Dir hier in der Gegend ein Nest, hier wirst Du bestimmt ein neues Zuhause finden.“ – „Okay“, sagte der Kuckuck, „ich danke Dir, dass Du mir das schlechte Wetter gezeigt hast, es ist toll!“ – „Dann mach’s gut!“, meinte die Möwe und flog davon. „Tschüß!“, rief ihr der Kuckuck noch hinterher, aber sie hörte es wohl nicht mehr.
Der Kuckuck sah sich um und suchte nach einem hohen Baum. Er wollte möglichst nah an den Wolken wohnen. Bald fand er eine hohe Birke, die ihm geeignet schien und er begann sofort, sich ein großes, kuscheliges Nest zu bauen. Und während er so baute, wunderte er sich darüber, wie viele Vögel im schlechten Wetter lebten: Da gab es Meisen, Finken, Zaunkönige und Störche. Der Kuckuck hatte noch nie Störche gesehen. All das war sehr aufregend.
Indessen wurden die Wolkenstrahlen immer dunkler. Er beschloss, eine Pause zu machen und den Wolkenschein zu genießen. Er flog die Birke herab und setzte sich auf einen Zaun. Dann breitete er sein Gefieder aus, setzte seinen Wolkenhut auf und wolkte sich. Zwei Zaunkönige, die neben ihm auf dem Zaun saßen, fingen an zu schwatzen: „Du nimmst wohl ein Wolkenbad, was?“, und kicherten lauthals. Als der Kuckuck nicht antwortete, fing der eine wieder an: „Er ist bestimmt ein Wolkenanbeter!“, und der andere meinte: „Hör mal, Kuckuck, wenn Du keine Wolkencreme oder Wolkenmilch benutzt, dann bekommst Du bestimmt noch einen Wolkenbrand!“ – „Ich empfehle Dir sogar ein spezielles Wolkenöl, sonst kriegst Du im Nu Wolkenflecken und später vielleicht gar eine Wolkenallergie!“, ergänzte der erste. „Hihihi...“, machte daraufhin der zweite, „oder einen Wolkenstich!“
Der Kuckuck ließ sich indessen nicht beirren und genoss das kalte Wetter in vollen Zügen. Er spürte den Wolkenwind in seinem Gefieder und sein Wolkengeflecht grummelte wohlig in seinem Bauch. Er schien förmlich Wolkenenergie zu tanken, das war wolkenklar. Dann begann es zu regnen. Der Kuckuck war ganz außer sich vor Freude und meinte: „Oah, geil, Regen!“ Die Zaunkönige schüttelten die Köpfe und flogen davon, ihnen war es inzwischen zu kalt geworden. Der Kuckuck lachte und amüsierte sich prächtig. In der Ferne sah er ein Feld mit Wolkenblumen und Bienen, die Wolkenblumenöl sammelten. Damit sie nicht nass wurden, hatten sie große Wolkenbrillen auf. Das sah sehr lustig aus, fand der Kuckuck.
Plötzlich tauchte neben ihm ein Spatz auf. Der Kuckuck hatte die Idee, den Spatz zu fragen, wie spät es denn mittlerweile sei, denn es war so bewölkt, dass er nicht einschätzen konnte, ob das nun die Mittags- oder schon die Abendwolken waren. „Tut mir leid“, antwortete der Spatz, „ich habe leider keine Wolkenuhr an, aber der Wolkenuntergang dürfte nicht mehr fern sein.“ – „Aha, vielen Dank... und welchen Tag haben wir heute?“, fragte der Kuckuck weiter. „Heute ist Wolkabend, und morgen ist dann Wolktag“, antwortete der Spatz eifrig, denn er war ein richtiger Wolky-Boy. „Aaah“, meinte der Kuckuck, „das ist ja klasse, dann kann ich mich morgen weiter wolken.“ – „Und wenn nicht, dann fliegst Du eben in ein Wolkenstudio“, sagte der Spatz, „da gibt es immer Wolken und Regen.“ – „Das ist eine gute Idee“, bedankte sich der Kuckuck und entschied sich dafür, sein Nest noch fertig zu bauen. Jetzt fühlte er sich richtig wohl in seinem Wolkenkuckucksheim und beschloss, früh schlafen zu gehen, denn er wollte morgen früh aufstehen, um rechtzeitig den ersten Wolkenaufgang seines Lebens mitzubekommen.
Des Nachts träumte er vom vergangenen Tage: Er traf die Möwe wieder, die unter einem Wolkenschirm lag und den Schatten genoss. Sie hielt ein Glas mit Wolkentau in der Hand und nahm daraus ab und zu einen Schluck. Plötzlich kam eine Wolkenfinsternis auf, und die Sonne schien für einen Augenblick durch. Völlig überrascht wachte er auf und stellte fest, dass es schon hell war. Die Sonne musste ihn geweckt haben. Die Nacht war schnell vorüber gegangen.
Er setzte sich auf seinen Nestrand und wartete auf den Wolkenaufgang. Er wartete und wartete, aber die Wolken kamen nicht. Da erinnerte er sich an die Worte des Spatzes, der gesagt hatte, es gäbe hier Wolkenstudios. Nachdem er was gegessen und getrunken hatte, machte er sich auf den Weg. Er flog über das Wolkenblumenfeld und traf wieder die Bienen, die Wolkenblumenöl sammelten. Er fragte sie: „Wo finde ich ein Wolkenstudio?“ Die Bienen überlegten kurz und meinten dann: „Dort hinten, hinter den Pappeln, dort ist das nächste Wolkenstudio.“ Er bedankte sich und flog in Richtung der Pappeln. Schon von weitem konnte er es lesen: ‘FITNASS-STUDIO‘, stand da in großen Lettern über der Eingangstür.
Er flog hinein und konnte fast nichts mehr sehen, so dunkel war es da drin. Er verharrte einen Augenblick, dann erkannte er Wolkenbänke, Höhenwolkenlampen, Kabinen mit Wolkenlicht und jede Menge Vögel, die sich wolkten: solche mit Wolkentops, andere ohne; einige hatten Wolkenbrillen auf, wieder andere nicht. Manche glänzten richtig, sie mußten ein Wolkenschutzmittel aufgetragen haben und hatten schon eine richtige Wolkenbräune. Heute wollte er sich erst einmal Probe wolken. Und wie er sich so beregnen ließ, entdeckte er ein großes Bild mit einem alten Wolkengott an der Nebelwand. Er war ganz begeistert davon und beschloss, es sich gut einzuprägen: Er wollte seinen Kuckucksfreundinnen und Kuckucksfreunden im Sonnenkuckucksheim davon erzählen, wenn er wieder zurückkehren würde. Das wollte er schon eines Tages, aber zunächst genoss er den Regen und die Regenwolken und verbrachte noch den ganzen Winter in seinem Wolkenkuckucksheim im kalten Norden.
ls