...der einzige Mann, der meine Freundin ist!
Lieber Lollo!
Der Tag, an dem ich dir zum ersten Mal begegnete, war ein wunderschöner Sommertag im Juli 2006, allerdings zu einem eher traurigen Ereignis. Es war der erste Jahrestag von Werner, einem sehr guten gemeinsamen Freund, der ein Jahr zuvor an Krebs starb.
Ich sehe mich, als wäre es erst gestern gewesen, oben auf der Treppe der kleinen Kapelle stehen, mit Sicht auf einen sommerblauen Himmel, als weitere Freunde von Werner eintrafen, unter denen auch du warst. Du hattest eine deiner locker-leichten Sommerhosen an, die mir sofort auffiel, weil sie mehr Rock als Hose schien und mir für einen Mann eher ungewöhnlich vorkam, auch weil sie mit ihrem Batikmuster in eine andere Ecke der Erde gehörte.
Mutig, habe ich gedacht, und fand dich sofort interessant!
Und du, groß und bärig, schienst in dir selbst zu ruhen, mir fiel nichts auf, was in Richtung „Tics“ ging.
Was mir auffiel, war deine Art zu sitzen, ein Bein, wie im Schneidersitz, unter das andere geschoben, und das nicht etwa auf dem Boden, sondern in unserer Stuhlkreisrunde, wo wir die Erinnerungen an Werner wieder heraufbeschworen.
Unvergessen wird mir bleiben, wie wir anschließend in diesem Klaviersaal eine Kostprobe deiner schriftstellerischen Fähigkeiten zu hören bekamen, völlig improvisiert, mit musikalischer Untermalung von Eberhard am Klavier, die einer organisierten Lesung in nichts nachstand, im Gegenteil: Ich war selten so bewegt und gefangen.
Übrigens, auch hier nahm ich nichts Außergewöhnliches wahr, ich war auch völlig unbedarft, da ich deine Tourette-Geschichte noch nicht kannte. Aber später, als ich sie kannte, war ich immer wieder verblüfft, wie souverän du deine Lesungen vorträgst, ohne einen einzigen deiner vokalen Tics: „Arschloch“, „ficken“, „Titten“, „pissen“ zu verwenden!
Du gabst mir das Buch mit deinen Gedichten mit, und erst als ich zuhause deine Biografie las, wurde mir bewusst, was mit dir los war.
Jetzt erst deutete ich das Recken der Arme, das ich für eine eigene Art, „sein T-Shirt zu richten“, hielt, als einen deiner Tics.
Ich hatte gar nicht lange zuvor einen Bericht über das Tourette-Syndrom im Fernsehen gesehen und googelte zur Sicherheit noch mal nach.
Ja, da las ich ein ganzes Repertoire von typischen vokalen und bewegungsmäßigen Tics, - aber ich war sofort der Meinung, dass du eher eine abgeschwächte Form des Tourettes hast!
Ich fand deine Gedichte so toll, witzig, vor allem mutig, auch intimste Gedanken zu Papier zu bringen, dich zu öffnen, zu dir zu stehen!
Und diese Offenheit durfte ich bei jedem weiteren Mal, wenn wir uns trafen, wieder erleben.
Weißt du noch? Am nächsten Morgen nach diesem Konzert mit der Django Reinhardt Band in den Ruinen des Klosters Stubben saßen wir bei Helga auf der Terrasse, Renate war mit dabei, frühstückten fürstlich und ließen den Abend Revue passieren. Da erzähltest du uns deine Geschichte von Anfang an. Wir stellten hunderte Fragen, die du uns gerne geduldig beantwortet hast. Da fing für mich unsere Freundschaft an.
Abends auf dem Konzert hast du mehr getickt. Du fühltest dich in der Menschenmenge nicht so wohl. Engegefühl ließ deine Armbewegungen wie Boxhiebe durch die Luft sausen. Aber – wer dich so sah, dachte vielleicht, dass du rhythmisch-tänzerische Bewegungen zur Musik machst!
Dieses Unwohlfühlen in beengten Räumen, vor allem in Sitzreihen, ist mir dann später öfter aufgefallen. Du brauchst Raum um dich. Auch in deinen eigenen Räumen, in deinem geliebten Snoozle-Raum, beanspruchst du immer eine Couch für dich!
Da thronst du dann wie ein Buddha, mit übereinandergeschlagenen Beinen und entspannst dich bei schöner Musik, Lavalampe, Blubbersäule oder einem Vernebler.
Was ich an deinem Tourette wirklich schlimm finde, sind nicht die Tics, sondern, dass es dich durch die starken Medikamente lähmt, dich mitunter Tage verschlafen lässt und dass du oft mit Kopfschmerzen geplagt bist. Ich wundere mich häufig, wie ausdauernd und kreativ du trotz allem deine Projekte durchziehst.
Du bist ein Genießer, in jeglicher Richtung, sei es Essen, Musik, Fotos, Malerei, Film oder Zweisamkeit, immer zelebrierst du diese Momente, und es ist eine Freude, sie ab und an mit dir teilen zu dürfen.
Du kannst dich begeistern, du kannst andere mitreißen, motivieren, aufbauen, anspornen. Du kannst kritisch sein, findest aber die richtigen Worte, sodass man es gut akzeptieren kann. Du bist ein Helfer in der Not, bei allen Computerproblemen!
Du bist der einzige Mann, der meine Freundin(!) ist, du bist verständnisvoll, einfühlsam, geduldig und treu!
Ich bin soooo froh, dich zu kennen!
Deine Bribri
Cochem, am 08.11.2012