...die Wortwahl Deines plappernden Freundes...

Für Lothar

Lieber Lothar, erst einmal möchte ich mich mit ganzem Herzen bei Dir für das Vertrauen bedanken, welches Du mir schenkst, um meine Sichtweisen Deine Persönlichkeit und Deine Behinderung betreffend hier auf Deiner Homepage ausdrücken zu dürfen.

Foto: Brigitte sitzt in einem weiß-blauen Trachtenkleid auf einem alten liegenden Baumstamm.
Brigitte im Trachtenkleid

Ich bin erstaunt darüber, wie mutig Du dieses Thema nicht nur mit den Sichtweisen anderer auf Deiner Homepage ansprichst, zeigst Du doch auch in allen Deinen Berichten und Gedichten, wie selbstbewusst Du bist. Sicher musstest Du viele Täler durchwandern, um dort hinzukommen, wo Du jetzt stehst. Dies ist mir sehr wohl bewusst. Dein Selbstbewusstsein setzt Du dann auch noch so ein, um die Aufmerksamkeit dahin zu lenken, dass Menschen mit einer Behinderung voll und ganz in die Gesellschaft inkludiert sein sollten. Ich kann Dich verstehen, lieber Lothar, da es ja auch mit meiner gehörlosen Tochter viele Hürden in einer Welt des Nicht-Verstehens in jeder Hinsicht zu überspringen galt und zum Teil immer noch gilt.

Ich bin nun eine Person, genau wie Deine liebe Mutter, die ihr Leben mit einem behinderten Kind teilte. All unsere Kräfte setzten wir ein, es gab schwere und traurige Zeiten, aber auch sehr schöne. Ich glaube, auch im Namen Deiner Mutter sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir es geschafft haben, Euch aus dem Nest zu werfen, genauso wie Mütter ihre Kinder ohne Behinderung aus dem Nest werfen, wenn die Zeit dafür reif ist.

Jeder von Euch beiden ist seinen eigenen Weg gegangen auf der Suche danach, mit der Behinderung integriert und anerkannt in dieser Gesellschaft leben zu können. Und noch einmal betone ich Deine Selbstsicherheit, lieber Lothar und vergleiche Dich oft mit meiner Tochter, die ebenso selbstsicher ihr Leben meistert, nur etwas anders, vielleicht auch etwas schwieriger, da wir ja überwiegend in einer lautsprachlichen Welt kommunizieren und der größte Teil der Menschheit nicht bereit ist, die Gebärdensprache zu erlernen. Das wäre doch sicher ein Schulfach wert, oder?

Ich bemerke, dass Menschen mit einem Handicap leider nur als eine Randgruppe in der Gesellschaft mitlaufen und oftmals separat in eine Schublade gesteckt werden. Das ist traurig, diskriminierend und rücksichtslos. Schließlich machen auch zahlreiche nichtbehinderte Menschen im Leben vielfach Krisen durch und gehen dann nach deren Bewältigung genauso gestärkt daraus hervor, wie behinderte Menschen auch.

Foto: Brigitte sitzt in einem gelben Kleid auf einem roten Samtsessel und hält ihre rote Brille in der Hand.
Brigitte in einem gelben Kleid

Lieber Lothar, wir lernten uns nicht über Deine Behinderung kennen, sondern über ein gemeinsames kreatives Tun, nämlich das Schreiben. Ich entdeckte Dich beim Suchen von in Worte gesetztes Gedankengut anderer als Anregung für meine zu verfassenden Gedichte. Und die fand ich ja genügend auf Deiner Homepage.

Deine Anmerkungen über Dein TS waren für mich eher Nebensache, zumal ich mich gerade in einem Zustand der Selbstfindung befand und alles, was mir als Anstrengung entgegen strömte, nicht beachten wollte. Doch war ich ab und an auch mal neugierig, und las ebenso Zeilen Deines Lebens. Ich wiegte mich in einer empfundenen Verbundenheit mit Dir, ließ mich immer mehr auf eine Entdeckungsreise auf Deiner Homepage ein, sah ich doch, wie Du Dich mit Deiner Behinderung arrangiert hast und Dich immer noch arrangierst. Ich spürte Deine Kraft, mit der Du Deine Behinderung annimmst und in Deinem einbringenden positiven Handeln für Dich und andere.

Ich wollte Dich unbedingt näher kennenlernen, und kurz nach meinem Eintrag in Dein Gästebuch auf Deiner Seite nahmst Du telefonischen Kontakt mit mir auf. Nun warst Du aber nicht allein in der Leitung mit mir: Immer wieder plapperte noch Dein Begleiter dazwischen. Mutig führtest Du das Gespräch mit mir weiter. Deinem Begleiter schenktest Du keine Beachtung.

Verunsichert war ich nicht, nein, ich war überrascht, wie Du ihn dauernd laut plappern ließest. Und so, wie Du ihn neben Dir akzeptiertest, so nahm auch ich diese Gesprächsführung an. Jedoch beschäftigte mich schon sehr arg die Wortwahl Deines plappernden Freundes, denn diese Worte würde ich nicht wagen, auszusprechen.

Vorsichtig fragte ich Dich Tage später bei einem nachfolgenden Gespräch, wie es dazu käme. Intensiv erklärtest Du mir dann diese Sache und stilltest meinen Wissensdurst mit einer Direktheit, die ich als sehr mutig empfand. In all unseren Gesprächen danach, kristallisierte sich eine Verbundenheit unser beider Leben heraus. Mein Gespür sagt mir: Unser Kennenlernen ist kein Zufall.

Lieber Lothar, durch unser Kennenlernen habe ich noch intensiver erfahren dürfen, dass Menschen mit Behinderungen genauso vollwertig im Leben stehen, wie Menschen ohne Behinderungen. Wie man dies schafft, zeigst Du mir mit Deinem Elan, wohl wissend, dass es etwas anders verläuft. Wichtig ist, dass wir uns so annehmen wie wir sind. Das zeigst Du mir immer wieder. Ich danke dir dafür.

Brigitte, im November 2018