Meine Texte zum Nachhören und Nachlesen
aus dem leben gerissen…
aus dem leben gerissen...
aus dem leben gerissen…
hallo renate, ich spreche dich an,
hallo, bist du da? hörst du mich?
doch du reagierst nicht,
träumst du, schläfst du?
ich werde lauter:
renate, kannst du mich hören?
deine beine zittern, oder besser gesagt,
sie zucken.
dann merke ich, dass du bewusstlos bist,
deine augen geschlossen,
speichel läuft aus deinen mundwinkeln
und ich denke: vielleicht hast du
einen epilleptischen anfall,
schließlich hat dein sohn auch epillepsie.
leute stehen auf und sprechen dich an,
reden mit dir.
der busfahrer hat den notarzt gerufen.
der krankenwagen muss gleich hier sein,
komisch, irgendwie
bin ich der welt entrückt,
alles läuft nach plan,
ich funktioniere wie am schnürchen,
doch was ist mit meinen gefühlen?
was ist mit meiner angst?
die sanitäter fühlen deinen puls,
tragen dich aus dem bus,
ich steige mit aus,
deine taschen in meinem rucksack verstaut,
sehe ich, wie der bus langsam davonfährt,
ich fühle mich allein, will nach hause,
die kälte holt mich zurück,
ich friere und hoffe, sie haben es bald,
du wirst im inneren des notarztwagens behandelt
und mir gehen tausend gedanken durch den kopf:
was, wenn es keine epillepsie ist?
lebst du überhaupt noch?
herzinfarkt? schlaganfall?
tausend fragen und keine antworten,
dann der sanitäter:
wir fahren jetzt in die klinik
immerhin: du lebst noch, denke ich
und steige benommen in den krankenwagen.
dann denke ich: ich träume alles nur,
wann wache ich endlich auf?
in der klinik angekommen,
sehe ich dich auf der trage liegen,
angeschnallt, dann fahren wir im aufzug
in den zweiten stock.
wie ich dich so auf der trage liegen sehe,
denke ich an meine letzte op,
ich liege auch auf einer trage,
auf dem weg in den op.
neonlichter an der decke
huschen an mir vorüber
wie die mittelstreifen
am kotflügel eines autos.
ich fühle mich ohnmächtig,
kann nichts mehr machen,
alles wird mit mir gemacht…
ob du dich jetzt genauso fühlst?
ohnmächtig, verlassen?
oder bist du immer noch bewusstlos?
ich setzte mich in den wartebereich
dieses langen ganges, alles dunkel,
von der hektischen betriebsamkeit
des klinikalltags keine spur mehr,
ich bin allein,
ein sanitäter erklärt mir, dass sie
jetzt erst mal eine ct machen,
zum glück weiß ich, was das heißt:
eine computertomographie,
sie durchleuchten dein gehirn.
ich warte und hoffe,
dass es nur ein epilleptischer anfall ist.
irgendwann kommt der sanitäter wieder
aus dem behandlungszimmer
und klärt mich behutsam auf:
die ct ist gemacht,
auf den bildern können sie
eine starke gehirnblutung im stammhirn sehen,
ein sehr sensibler bereich,
was heißt das? will ich wissen.
na ja, der ausgang ist völlig offen:
es kann sein, dass du es überlebst,
wahrscheinlicher ist jedoch,
dass du daran stirbst, erklärt er mir,
die verletzung ist so stark,
dass die schäden durch das eingelaufene blut
sehr groß sein werden,
genaues kann man noch nicht sagen,
wird sie ein pflegefall werden? höre ich mich fragen.
wenn sie überlebt, dann nur
mit schwersten behinderungen…
teilt er mir mit,
bevor er aufsteht und geht,
meint er noch zu mir:
rechnen sie mit allem!
au wei, denke ich, das ist heftig,
und das, wo wir gerade
ein halbes jahr zusammen wohnen,
wo du gerade ein stück angekommen bist,
der pfleger geht und mich
packt eine unsägliche traurigkeit,
dann breche ich in tränen aus:
das darf einfach nicht sein, denke ich,
das ist nicht fair,
aber was soll ich machen?
ich fühle mich klein, ohnmächtig,
hilflos und allein,
niemand da, um mich zu trösten,
das leben ist ungerecht, denke ich wieder,
gerade jetzt, wo es so schön war,
dann wieder phantasien, horrorvisionen:
was, wenn du nicht mehr sprechen kannst,
nicht mehr kommunizieren kannst?
wirst du noch weiter bei mir wohnen können?
du wolltest malen, du wolltest nach thailand…
ich drehe mich mit meinen gedanken im kreis,
verliere mich,
drehe mich, bis mir schwindelig wird,
stehe neben mir und denke wieder,
ich träume alles nur,
wann wache ich auf aus diesem alptraum?
lass mich endlich aufwachen!
ich fühle mich wieder so einsam,
so allein gelassen, verlassen,
niemand ist bei mir,
ich trage alle verantwortung
in diesen schweren minuten, stunden,
dann denke ich:
unglaublich, wie zerstörerisch,
ein paar tropfen blut sein können,
normalerweise rettet blut leben,
blut ist leben, und jetzt?
im falschen moment am falschen ort
zerstören ein paar milliliter blut
dein gesamtes bisheriges leben!
der gedanke macht mich verrückt,
das darf alles nicht sein,
wann wache ich endlich auf?
ich hoffe auf ein wunder
und vergieße wieder tränen,
bin unendlich traurig und weiß nicht
wohin mit mir.
heute abend am achten oktober 2009
haben dich ein paar tropfen blut
aus dem leben gerissen,
und es wird vielleicht monate dauern,
bis ich weiß, wie weit sie auch mich
aus dem leben gerissen haben…
für renate: ich wünsche dir, dass du es schaffst,
den weg zu gehen, der für dich der richtige ist
ls