Textkunst von Jürgen

Der erste Schritt aus der Hölle

Der erste Schritt aus der Hölle

Mein erster Schritt

Montag der 15. März 1982, mein neuer Geburtstag.
Gerade habe ich den Zettel von meiner Ärztin aus der Hosentasche gezogen und sofort die Kontaktadresse der Anonymen Alkoholiker angerufen. bevor die Angst über mich kommen konnte.
Eine Frauenstimme meldete sich. Zögernd fragte ich nach den AA´s. Recht unfreundlich sagte sie mir: Heute Abend um acht in der Silberburgstrasse 95 ist ein Meeting, und übrigens mache ich das seit vier Jahren nicht mehr und ich sollte sie nicht nochmals belästigen. War kein tolles Gespräch, aber immerhin wusste ich jetzt wohin ich gehen musste. Meiner damaligen Ehefrau sagte ich nur dass ich zu den Anonymen Alkoholiker gehen würde, da ich die Schnauze voll vom Saufen habe.
Eine volle Stunde vorher fuhr ich in die Silberburgstrasse. Neben der Hausnummer 95 befanden sich mehrere Schaufenster einer Gebrauchtwarenvermittlung. betont unauffällig betrachtete ich mit einem Auge die Auslagen, mit dem anderen schielte ich zur Eingangstür des Meetinglokals, um zu sehen was da wohl für versoffene Typen reingehen würden. Vor lauter Aufregung tat mir der Bauch weh, und mein Entzug lies mich heftig zittern.
Zehn vor acht war ich kurz vor dem Zusammenbruch – ich zählte bis zehn und lief los.
Eine junge, blonde Frau empfing mich und stellte sich als die Leiterin des Montags-Meetings vor. Sie setzte sich mit mir in eine Ecke und erzählte von den Geheimnissen, die nur ein Säufer kennen konnte.
Sie erzählte von der Hölle, die ich erlebt hatte. Woher weiß sie das alles, so dachte ich mir.
Erst später wurde mir klar, alle Alkoholiker gehen durch diese Hölle der Erniedrigung und der tausend Ängste.
Das Meeting begann, und ich fühlte mich sofort als dazugehörig. Ein Gefühl, dass ich schon lange nicht mehr erlebt hatte.
Ich trank bis heute nie wieder bewusst Alkohol.
Nach dem Meeting nahm mich ein alt gedienter AA noch kurz in die Mangel. Er sagte zu mir, so wie Du aussiehst und nicht auf eine Kur gehen willst, hast Du nur eine echte Chance, wenn Du jeden Tag ins Meeting gehst. Ich wendete ein, dass ich meine Funktionen in der Gewerkschaft und in dem KABD habe und deshalb nicht so oft kommen könne. Dann sauf doch gleich weiter, sagte der AA darauf, drehte sich um und ging.
Das könnte Dir so passen, dachte ich. Am nächsten Tag legte ich alle meine Ehrenämter nieder, ich spürte irgendwie, dass der AA wohl doch Recht hatte.
Mir ging es nach dem Meeting so gut. Ich wusste, dass ist mein Weg nach nunmehr 22 Jahren heftigstem Alkoholmissbrauch.
Meiner Ehefrau sagte ich nur dass ich jetzt jeden Tag dahin gehen würde und nichts mehr saufen werde.
Vor Aufregung konnte ich lange nicht einschlafen. doch endlich schlief ich dann doch ein. Kurz darauf wachte ich auf und das Schlafzimmer wurde immer kleiner. Ich wusste das kann nicht sein, doch Wände und Decke kamen mit einem Ächzen auf mich zu. Ganz langsam. die Luft wurde immer heißer und ein Geruch von heißem Hydrauliköl lies mich kaum mehr atmen.
Als die Zimmerdecke nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war, lies ich mich aus dem Bett fallen und kroch auf Händen und Füssen aus dem Zimmer. der Spuk war vorbei, kaum war ich über die schwelle gekrochen.
An Schlaf war nicht mehr zu denken – doch ich musste ja sowieso in wenigen Stunden wieder zur Arbeit.

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