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Zwei Glücke, dass ich lebe
Zwei Glücke, dass ich lebe
Mein Leben verdanke ich natürlich in erster Linie meinen Eltern: Sie haben sich geliebt, mich gezeugt und geboren. Aber es gibt Ereignisse in den Zeiten davor, die beinahe dafür gesorgt hätten, dass es mich heute nicht geben würde.
Der Vater meiner Oma mütterlicherseits, also mein Uropa, war das jüngste von sechs Kindern. Als er noch ein Baby war, schlug eines Tages bei einem heftigen Gewitter der Blitz in das Haus seiner Eltern ein. Seine Mutter trug ihn gerade auf dem Schoß, als das Haus lichterloh zu brennen begann.
Die Mutter ließ vor Schreck das Baby fallen, sprang auf und rannte mit den anderen fünf Kindern nach draußen ins Freie. Eine Nachbarin kam helfend hinzu und rief plötzlich: „Wo ist denn das Baby!?“ Die Mutter rannte geistesgegenwärtig in das brennende Haus zurück und rettete ihr Baby, das noch in der Küche lag.
Ihr Mann, der Opa meiner Oma, kam bei dem Blitzeinschlag ums Leben. So zog die Mutter die sechs Kinder allein auf, und das einstige Baby, mein Urgroßvater, bekam im späteren Leben drei Kinder: einen Sohn und zwei Töchter; die ältere Tochter war meine Oma.
Die weiteren Ereignisse, die beinahe dafür gesorgt hätten, dass es mich heute nicht geben würde, betreffen meine Oma selbst. Kurz nach ihrer Hochzeit 1936 wurde sie schwanger. Sie verlor ihr erstes Kind jedoch wenige Monate später. Daraufhin versuchten meine Großeltern erneut, ein Kind zu bekommen. Es wuchs zwar heran, aber dieses Kind wurde am 5. März 1938 tot geboren, nachdem es bereits vier Wochen zuvor im Mutterleib gestorben war. Es war ein Junge und er erhielt noch den Namen Alfred.
Nach dieser Totgeburt stellte die Hebamme meiner Oma fest, dass ihre gesamte Gebärmutter total krank und vereitert war, und meiner Oma ging es damals sehr schlecht. Die Ärzte glaubten nicht daran, dass sie jemals wieder schwanger werden könnte. Die Hebamme jedoch machte meiner Oma Hoffnung und tat alles, um sie zu heilen.
Nach etwa zwei Jahren intensiver Behandlung heilte ihre Gebärmutter wieder und meine Oma wurde im Februar 1940 zum dritten Mal schwanger. Im November 1940 – der zweite Weltkrieg hatte bereits begonnen – kam dann gesund und munter meine Mutter zur Welt. Ja, so war das damals.
Wären einst die Nachbarin und später diese großartige Hebamme nicht gewesen, würde es mich heute nicht geben. Und natürlich bin ich auch sehr froh und glücklich darüber, dass meine Oma nach zwei Fehlgeburten noch den Mut hatte, zwei weitere Kinder zu bekommen: Meine Mutter und meine Tante.
Anhand dieser Ereignisse stelle ich fest, wie wenig selbstverständlich es doch ist, dass ich heute am Leben bin, und ich bekomme gerade eine ganz andere Achtung vor meinem eigenen Leben.
ls