Textkunst von jey-key

Der Baum

Als ihn die ersten Sonnenstrahlen an diesem Morgen treffen räckelt er seine Äste dem Licht entgegen. Dicke Knospen bedecken die Äste, bald werden sie aufgehen und er wird in seinem schönsten Kleid zu bewundern sein. Feine rosa Blüten bedecken ihn dann über und über.
Doch noch ist es zu kalt dazu, Rauhreif bedeckt das Gras rings um ihn herum. Langsam erhebt sich der Morgennebel, es sieht so aus, als wenn der Baum von weichen weissen Wolken umgeben wäre, nur seine oberen Äste schauen noch hervor.
Der Baum freut sich schon darauf zu blühen, weil dann auch wieder viele Familien hier vorbei kommen und ihn bewundern. Er liebt es, wenn sie in seinem Schatten verweilen, dort steht eine alte Eichenbank. Auf dieser knorrigen, krummen Bank haben schon so viele Menschen gesessen, gelacht, geredet, geflirtet, gestritten und auch geweint. Kinder mag er besonders gerne, wenn sie singen und herumspringen oder um herum Nachlaufen spielen. Doch ihm wird auch gerade dann immer wieder bwusst, wie bewegungslos er doch im Grunde genommen ist.
Doch der Baum hat auch schon viel Schlimmes und schier Unvorstellbares gesehen. Manchmal kommt er sich dabei vor, als wäre er dazu verdammt, tatenlos zuzuschauen wie starke Menschen die schwachen Menschen misshandeln und missbrauchen. Es macht ihn jedesmal so sehr wütend, wenn ein Unrecht geschieht und er dabei tatenlos zuschauen muss ohne handeln zu können, weil seine Wurzeln so fest im Boden verankert sind.
Einmal hat er schon einem Menschen geholfen, der kam vor langer Zeit, auf der Flucht in Panik hier angelaufen, jemand schoss auf ihn Doch der angstvolle Mensch konnte sich hinter seinem dicken Stamm unentdeckt, verstecken. Seine Verfolger zogen nach erfolgloser Suche wieder ab.
Der junge Mann freute sich daraufhin so sehr, dass er den Baum umarmte und zu ihm sagt:"Du hast mir das Leben gerettet, ich danke Dir, ich glaube, dass Du mich verstehen kannst"
Natürlich konnte der Baum den Menschen sehr gut verstehen, doch der Mensch verstand die Antwort des Baumes nicht. Doch das war schon so lange her, dass der Baum schon gar nicht mehr wusste, wie sich die Umarmung angefühlt hatte.
Einige Wochen sind nun vergangen, der Baum ist über und über mit wundervollen Blüten bedeckt, viele Spaziegänger kommen nun vorbei an den warmen und schönen Frühlingstagen.
Eine alte Dame kommt auch mit ihren Enkelkindern vorbei, sie setzt sich mit den Kindern auf die alte Bank und packt Kuchen aus. Während sie den Kuchen essen erzählt sie den Kindern, dass  vor über 40 Jahren hier der Opa um ihre Hand angehalten habe. Er erzählte ihr damals, dass dieser Baum ihm einmal das Leben gerettet habe.
Ja, daran kann sich der Baum gut erinnern, denn es war der junge Mann, der ihn umarmt und gedankt hatte.
Er war mit einer besonders, hübschen und klugen Frau nach hier gekommen und hatte ihr erzählt, dass  dieser Baum etwas ganz Besonderes sei, wie ein Freund für ihn. Dann hat er sie mit Tränen in den Augen und knieend gefragt, ob sie seine Frau werden wolle. Die Frau konnte vor Rührung nicht antworten und sie küssten sich lange.

Der Baum erfährt nun aus dem Gespräch, dass der Mann vor einigen Wochen gestorben ist. Die Frau weint leise und die Kinder trösten sie. Doch schnell lacht sie wieder und erzählt den Kindern, dass schon Ihre Mama hier mit ihr gesessen sei und Kuchen gegessen habe.
Ein Seuftzen entrinnt dem Baum, das sich für die Menschen wie ein Knarren der Äste anhört. Dann zieht ein lauer Windzug durch das Geäst, lässt die rosa Blütenblätter tanzen und wie Schnee, wirbelnd zu Boden fallen.
Die Kinder schauen lachend nach oben. Eines fragt die Oma "Ob er uns wohl hören kann?"

Die Grossmutter schaut die Kinder ernst an, nickt und sagt: "Ja, er kann uns verstehen, Opa war so fest davon überzeugt, dass er mit dem Baum geredet hat, als er sich bedankte. An Opas Worten würde ich niemals zweifeln."
Oma schaut gedankenversunken nach oben und ist sich sicher, dass sie in den Ästen die Gesichtszüge, des geliebten Mannes sehen kann. Blütenblätter fallen sanft in ihr vom Wetter gegerbtes Gesicht, ein Lächeln bildet sich auf Ihren runzeligen Gesichtszügen."
Es fühlt sich für Oma fast so an, als würde Ihr Mann ihr liebevoll mit den Fingern über das Gesicht fahren.
Dann kehrt ihr Blick wieder zu den Kindern zurück und mit einem Zitten in der Stimme sagt sie ehrfürchtig zu dem Baum "Danke, dass Du damals für meinen geliebten Mann da warst, wir hatten viele gemeinsame Jahre, die wir ohne Deine Hilfe niemals erlebt hätten."
Die Kinder rufen auch "Danke, Danke, lieber Baum, Opa war immer für uns da, wenn wir ihn brauchten." Dann springen sie von der Bank, laufen lachend um den Baum herum und umarmen ihn.

Der Baum fühlt sich so gut dabei, es fühlt sich so schön an umarmt zu werden. Noch lange nachdem die Grossmutter mit den Kindern weg ist, denkt er über das Gehörte und die wundevolle Umarmung der Kinder nach.
Er ist jetzt so alt, hat so viele Jahreszeiten immer wieder wechseln sehen, doch niemals hat er gedacht, dass irgendjemand weiss das er die Menschen verstehen kann.

Es sind wieder einige Jahre in das Land gezogen, der Baum wirft gerade seine Blätter ab. Ein Päärchen ist mit dem Auto bis auf den neuangelegten Pakplatz gefahren, den der Baum  überblicken kann. Es ist Herbst, ein starker Sturm zieht heran, der Himmel verdunkelt sich schon.
Da hört der Baum die Frau im Auto um Hilfe schreien, er würde gerne helfen, doch er ist ja fest mit dem Boden verwachsen, durch seine Wurzeln.
Die junge Frau öffnet die Autotüre und springt hinaus, der junge Mann auf der anderen Seite hinterher.
Mittlerweile ist ein starker Sturm im Gange, es rüttelt den Baum hin und her. Er kann durch den peitschenden Regen das Gesicht der jungen Frau sehen, sie sieht genauso aus, wie die junge, hübsche Frau, der hier ein Heiratsantrag gemacht wurde.
Die junge Frau kommt auf ihn zugerannt, der Mann folgt ihr. Der Baum kann ein Messer in seiner Hand erkennen und wie wütend er brüllt "Bleib stehen, Du Schlampe"
Die junge Frau hat das blanke Entsetzen, ja Todesangst in den Augen stehen.
Als sie den Baum fast erreicht hat, holt der Mann sie ein und wirft sie zu Boden.
Der Baum ist verzweifelt, rüttelt an seinen Wurzeln, er möchte helfen.
Die junge Frau schreit laut und verzweifelt, da kommt eine starke Orkanböhe.
Mit aller Kraft, die der Baum hat, reisst er an seinen Wurzeln. Es gibt einen starken Ruck und er neigt sich zu Seite dem Boden entgegen, ein schwerer Ast schlägt auf den Mann und drückt ihn zu Boden. Die junge Frau bereit sich aus seiner Umklammerung und rennt weg.

Am nächsten Morgen ist sehr viel los, bei dem alten Baum. Man zersägt seine Äste um an den toten Mann, mit dem Messer in der Hand dran zu kommen.
Der Baum spürt wie langsam, Stunde um Stunde das Leben aus ihm weicht. die Äste beginnen zu vertrocknen langsam, er kann keine     Nahrung mehr aufnehmen.
Es tut weh, als sie seine Äste absägen, doch zufrieden seuftzt er. Die junge Frau hat überlebt.

Nach mehreren Wochen hält wieder ein Auto bei dem sterbenden alten Baum. Es steigen zwei Frauen aus. Die eine kennt der alte Baum noch nicht, doch die junge Frau............am liebsten möchte er sich aufrichten, doch das geht nicht.
Die junge Frau kommt auf ihn zu, kniet sich hin und umarmt ihn. Tränen laufen über ihr Gesicht. Sie sagt zu dem Baum "Ich weiss, dass Du mich hören kannst, mein Opa hat das auch gesagt. Ich bin Dir sehr dankbar, Du hast mein Leben gerettet. Der Mann, den Du erschlagen hast, der war ein böser Mensch, der schon mehrere Frauen umgebracht hat. Ich wusste, dass Du auch mir helfen würdest."
Der alte Baum seuftzt schwer, die Umarmung fühlt sich so wunderbar an, er erzittert ein letztes Mal und dann weicht das letze Leben aus ihm. Er fühlt die herzliche Umarmung der jungen Frau, die ihm so dankbar ist. Hunderte an Jahren ziehen an ihm vorbei, bevor er einen letzten erleichterten Seufzter von sich gibt.
Darauf hat er gehofft, eine letzte Umarmung und ein Mensch der weiss dass er alles hören kann.

Er hat sich selber überwunden und das Unglaubliche möglich gemacht und die hübsche Frau hatte an ihn geglaubt.
Der Baum stirbt nun stolz, weise und wissend, dass er das Richtige getan hat. Er hatte einen unschuldigen Menschen getettet, obwohl er es selber für unmöglich hielt das er dazu in der Lage sei.

Koblenz den 19.09.06

Alles Liebe
jK

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