Textkunst von Suta Wanji

Suta Wanji's Roman-Debüt
"Wolfsmoorsaga Teil 1 - Leefke"

Hinweis

Unterhalb dieses Bildes und der nachfolgenden Legende findest Du vier Links, die Du wie ein Akkordeon einzeln aufklappen kannst. Dann öffnet sich jeweils der entsprechende Abschnitt des Romans und wird zum Lesen freigegeben.

Grafik: Schwarze Wolfs-Silhouetten vor Bäumen unter einem blutgetränkten Titel: Suta Wanji's Erstlingswerk.
Blutrot triefender Ostfrieslandhorror von Suta Wanji

Legende

Personen:

Tabea Hinrichsen (Rosien): 56 Jahre alte Kommissarin mit Depressionen und Burn-out, bevorzugt sauberes Gras und Havanna Club (HC) als Heilmittel. Nachfahrin von Aaltje, Leefkes Schwester. Verliebt sich in Bente und das Chaos nimmt seinen Lauf…

Bente Klaas Ricklefs: 53 Jahre alter Geschäftsmann (hat seine Finger überall drin), ist nicht nur Mensch, sondern auch Wolf. Seit über 30 Jahren in Tabea verliebt und trägt gut zum allgemeinen Chaos bei. Leefke war seine erste Frau…

Hanke Klaas Ricklefs: Bentes Bruder, der sich mit seinem Bruder und irgendwann auch seinem eigenen Liebeschaos rumschlagen darf…

Leefke: War Bentes erste Frau vor 400 Jahren, heutzutage mordet sie lieber

Aaltje: Leefkes Schwester und Tabeas Vorfahrin

 

Ort des Geschehens:

Ostfriesland, Aurich, Wiesmoor und andere schöne Plätze, aber ebenso Brüssel

 

Handlung:

Tabea und Bente müssen sich durch die mordende Leefke mit ihrer Vergangenheit und Zukunft auseinandersetzen. Sie lieben sich heiß und innig und fallen doch immer wieder in alte Verhaltensmuster zurück. Sie wissen, sie gehören zusammen, schmeißen sich aber immer wieder gerne gegenseitig Hinkelsteine vor die Füße.

Tabea ist früheres Missbrauchsopfer, Bente war im Umgang mit Frauen vor 400 Jahren nicht zimperlich und muss nun lernen, dass diese Art von Umgang mit Frauen nicht mehr ganz zeitgemäß ist.

Da gibt es auch noch Tabeas Großmutter, die mehr ist als nur ein durchtriebenes Früchtchen, Bösartigkeit ist wohl die harmloseste Bezeichnung. Sie kocht ihre eigene schwer verdauliche Suppe und kennt kein Erbarmen, auch nicht bei ihrer Enkeltochter.

 

Ausschnitte des Romans Wolfsmoor,
Teil 1: „Leefke“

Leefke

Fröstelnd klappte Tabea Luise Hinrichsen den Mantelkragen hoch und schüttelte sich leicht. Dieser Novemberabend war hier im Moor typisch mit seinem Nebel und seiner Luftfeuchtigkeit und doch bildete sie sich ein, sie könne durch ein Schütteln den dichten Nebel daran hindern, sie zu umkreisen und immer enger einzuschließen. Sie fühlte den Autoschlüssel in ihrer Manteltasche, umklammerte ihn, als ob er sie vor dem Nebel beschützen könnte. „Nur noch ein paar Meter bis zum Auto“, murmelte sie vor sich hin.

Mittlerweile war der Nebel so dicht, dass sie ihre Schuhe nicht mehr sehen konnte und sie spürte, wie der feuchte Nebel ihr langsam die Hosenbeine von innen hinauf kroch. Mit ihm kroch noch etwas anderes die Hosenbeine hoch, eine unerklärliche Angst. „Stell dich nicht so blöd an“, fauchte sie sich selbst an, „du bist schließlich eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht“.

Am Auto angekommen, stellte sie fest, dass der Nebel nicht nur Angst mit sich trug, sondern auch eine ungewöhnliche Kälte. Nicht die Art von Kälte, die einen eisigen Wintertag begleitete, nein, eine Kälte, die sich wie eine Hülle um einen legte und einen nicht mehr losließ, immer enger werdend und die Angst, die sich innen aufbaute, immer größer werden ließ. Sie zitterte und versuchte sich selbst zu beruhigen und für einen kurzen Moment gelang es ihr auch.

„Wo kommt nur diese Kälte her“, murmelte sie, während sie anfing die Autoscheiben von außen schnell mit  einem Taschentuch abzuwischen. „Bloß weg hier“, dachte sie laut, während sie zitternd weiterwischte, obwohl das Taschentuch keine Feuchtigkeit mehr aufnehmen konnte.

Die Angst und die Kälte waren mittlerweile auch an ihren Zähnen angekommen und sie fühlte sich, als läge sie in einer Badewanne, die sich langsam mit Eiswasser füllte. Das Zittern wich langsam, dafür machte sich eine Steifheit im Körper breit, die sich auch nicht besser anfühlte. Dass sie allein auf dem Parkplatz war, trug auch nicht dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern.

Sie versuchte so schnell wie möglich zur Fahrertür zu gelangen, raus aus dieser Suppe von Feuchtigkeit, Kälte und Angst. Als sie die Tür öffnete, spürte sie wie eine Woge von Eiseskälte langsam ihren Hinterkopf berührte und sie vor Angst aufschreien ließ.

Sie schnellte herum und schrie. Ein paar Meter von ihr entfernt meinte sie eine Gestalt stehen zu sehen, hünenhaft, Kälte in Wellen ausstoßend, glühende Augen auf sie gerichtet, orange leuchtend durch den Nebel.

Sie schrie und schrie, während sie ins Auto sprang, sofort alle Türen verriegelte, in der Hoffnung, dass sie die orange glühende Fixierung auf sie dadurch irgendwie abhalten könnte. Krampfhaft versuchte sie den Schlüssel ins Schloss zu stecken, während ihr die Angst langsam die Tränen in die Augen trieb.

„Reiß dich zusammen Tabea, das sind Stresssymptome“ schrie sie sich an, „ dein Job hat dich aufgefressen, jawohl, burn-out, das wird es sein „, versuchte sie sich zu beruhigen, während es ihr gelang nach mehreren krachenden Fehlversuchen einen Gang zu finden. Der Wagen schoss nach vorne auf die Randsteine der Parkplatzumgrenzung, wo die Stoßstange sofort laut knirschend nachgab.

„Hysterische Ziege“, schalt sie sich. “Reiß dich zusammen, du bist schließlich bei der Polizei“, seufzte sie , immer noch hoffend, dass die orangen Augen nicht mehr dort waren.

Als es ihr schließlich gelang den Rückwärtsgang zu finden und das Auto ohne Stoßstange nach hinten schoss, blickte sie noch einmal zur Seite. Nichts, absolut nichts. Der Nebel war verschwunden, mit ihm Feuchtigkeit, Kälte und Angst. Keine orangen Augen, die sie anstarrten, nichts.

Was blieb war ein tränenüberströmtes Gesicht, eine Frau, die sich immer eingeredet hatte, nichts könne sie umhauen und im Inneren dieser Frau, eine Portion Grünkohl mit Pinkel und Kasseler, die sich vor lauter Aufregung nun ihren Weg nach draußen bahnten.

Nachdem sie sich auf dem Parkplatz übergeben hatte, schloss sie die Autotüren, startete ihr Auto neu und fuhr beschämt nach Hause.

„Erst `n Grog und dann ins Bett“, murmelte sie, als sie den Wagen hektisch nach Hause lenkte, immer noch aufgewühlt, magentechnisch und seelisch.

Was sie nicht mehr sah, waren weit hinter ihr orange Augen, funkelnd wie glühende Kohlen, die ihr hinterher starrten, wissend, man kann ihnen nicht entkommen...

...und führe uns in die Finsternis...

Tamme Franzen, Ostfriese durch und durch, genoss sein Lauftraining auf einsamen, aber bekannten Wegen durchs Moor. Es war ein schöner Novembermorgen, wahrscheinlich einer der letzten seiner Art in diesem Jahr. Er genoss den Anblick der wunderschönen gelb blitzenden Birkenblätter, die sich dicht an dicht in den hohen Gipfeln im Glanz der Sonne zu aalen schienen. Weißer Stamm neben weißem Stamm, goldene Krone neben goldener Krone. Trügerische Energie, die nicht von Wachstum zeugte, sondern vom Übergang aus der Meditation in das Sterben.

Tammes oftmals rotes Gesicht schien sich als Folge der Anstrengung noch eine Nuance tiefer eingefärbt zu haben, der Schweiß lief ihm in Rinnsalen vom Kopf über den Körper. Er spürte, dass der gelegentliche Klare seinen Tribut forderte und doch wollte er nicht darauf verzichten. Warum auch, half er ihm doch die langen, einsamen Abende freundlicher zu gestalten, die innen wohnende Kälte durch Wärme zu ersetzen, was ihm mit seiner Frau Elfriede nicht gelang.

Wohl war sie auch eher der Auslöser für Unpässlichkeiten seiner Seele. Putzteufel, Klatschweib, sie war wirklich der Inbegriff dessen, was er vor Jahren nicht geheiratet hatte. Ihre Ehe blieb kinderlos, einer der Gründe ihrer Wandlung. Er blieb trotzdem bei ihr, in Ostfriesland trennt man sich nicht so leicht und als Leiter des hiesigen Ordnungsamtes stellte er ja auch etwas dar.

Wenn es zu schlimm wurde, ging er laufen, so wie heute Morgen. Dann konnte sie ihre hormonellen Schwankungen erst mal mit Feudel und Glasreiniger ausbalancieren.

In letzter Zeit ertappte er sich immer wieder dabei, dass er zu seiner Kollegin Frieda Brettschneider – Ordnungswidrigkeiten – rüberschielte. Ein beachtliches Frauenzimmer fand er. Rote Haare, Sommersprossen, Rundungen da, wo Frauen in seinen Augen rund sein sollten. Rosige Haut… er stellte sie sich vor, wie sie sich ihm entgegen reckte und ließ seiner Fantasie freien Lauf.

In Glücksgefühlen schwelgend übersah er galant die weißen Stoppeln, die eifrig in alle Richtungen auf ihrem Kinn sprossen und die tiefen Falten unter ihren Mundwinkeln, Zeugnis von Einsamkeit und Bitterkeit. In seiner Fantasie war sie in der Lage, ihn in andere Welten zu entführen und das war in seinen Augen alles, was zählte.

Vertieft in Gedanken um und in Frieda Brettschneider, bemerkte er nicht den Nebel, der von hinten aufzuziehen schien, undurchsichtig, sich immer höher aufbauend zu einer Wand, verteilend nach rechts und links. Kälte holte ihn zurück in die Realität und überrascht stellte er fest, dass er plötzlich von Nebel umzingelt war. Noch ungefähr zwei Kilometer, dann könnte er schon sein Haus sehen und wahrscheinlich auch seine Frau meckern hören, dass der Nebel mit seiner Feuchtigkeit ihre Arbeit an den Fenstern sabotiere. Tiefes Unwohlsein beschlich ihn, dieser Nebel war anders. Er war doch mit Nebel aufgewachsen, er war doch im Moor aufgewachsen, Nebel hatte für ihn nichts Beunruhigendes. Doch dieser Nebel hatte nichts mit dem gemeinsam, den er kannte. Er meinte eine gewisse Boshaftigkeit zu spüren und je größer seine Angst wurde, desto größer wurde die Gewissheit, dass in diesem Nebel das Böse lauerte. Frieda hatte er ad acta gelegt, sie gehörte nicht in diese Welt.

Die Angst peitschte ihn vorwärts und er meinte zu spüren, dass es dem Nebel ein sichtliches Vergnügen bereitete, ihn zu jagen. Er stolperte vorwärts, keuchend, vor Angst schneeweiß, nicht mehr wissend, wohin er rannte. Er hörte schmatzen und grunzen, die Geräusche des Moores, sicher war er sich jedoch nicht.

Eine Stimme im Inneren sagte ihm, dass er nicht mehr nach Hause lief, sondern mittlerweile um sein Leben. Er begann zu weinen, um sich selbst, um seine verpatzte Ehe mit Elfriede und all die Chancen, die Frieda und er niemals haben würden.

Schluchzen und tief verängstigtes Schreien setzte ein, als er von hinten heißen Dampf spürte, der ihm die Haut zu versengen schien. Krallen schienen seinen Rücken zu bearbeiten, Schmerz breitete sich aus. Warmes Blut lief ihm die Beine runter, während er immer noch versuchte sein Haus zu erreichen. Rot färbte seinen Verstand, roter Nebel ließ seine Sinne schwinden als sich lange gelbe Zähne in seinen Hals bohrten. Sein letztes Wort galt Frieda, während sich Zähne tiefer und tiefer in sein Fleisch bohrten, zermalmend, zerfetzend und einen blutigen Rest hinterließen, den niemand als Tamme wiedererkennen würde.

...Wolfsmoor – Hexenmoor...

Schon lange lebte er hier, unerkannt, dafür hatte er Sorge getragen. Es war immer genug zu essen dagewesen, er hatte nie Not gelitten. Wild gab es genug im Hochmoor, ebenso verirrte Viecher von Landwirten, von Menschen ernährte er sich nur in Notzeiten. Er verabscheute das zutiefst, war doch ein Teil von ihm einer von ihnen.

Übel mitgespielt hatten sie ihm und nachdem sie ihn im Moor versenkt hatten, sich alles genommen, was ihm einmal gehört hatte. Lang war es her, doch niemals würde er diesen Tag vergessen.

Er war draußen gewesen bei seinen Buchweizenfeldern, hatte sie gehegt und gepflegt, denn sie sicherten das Überleben seiner Familie. Es war nicht mehr lange hin bis zur Ernte, dann würden sie alle mit anpacken müssen.

Er war der erste hier, dem sie einen Teil des Moores vermessen hatten, einer der ersten Abkömmlinge von den früheren Moorkolonisten und zudem der Erste hier mit einer 2. Natur.

Er lebte auf einem kleinen, bescheidenen Hof, arbeitete hart mit seiner Familie und es ging ihnen allen gut, beargwöhnt von den Nachbarn. Heilerin war seine Frau, Kräuterfrau. Sie kamen alle her, damit sie ihnen half. Egal ob Schatten auf der Seele oder körperliches Unwohlsein, sie half wo sie konnte.

Selbst nach 12 Kindern, von denen drei nur älter als sechs Jahre alt wurden und nur zwei erwachsen, war sie immer noch schön und nicht verbraucht vom Kinderkriegen und harter Arbeit wie andere Frauen ihres Alters. Ihre zweite Natur hatte dazu beigetragen.

Ihre zwei gebliebenen Söhne halfen beide kräftig mit und so war ihr Leben erträglich und sie hatten zwar ein spärliches, aber erträgliches Leben. Oft gab er Nachbarn, die in bitterer Armut mit ihren Familien lebten ab und so entwickelte sich im Laufe der Jahre nicht nur Dankbarkeit, sondern auch viel Neid.

Dann zogen Männer mit Kreuzen ins Land, nicht zum ersten Mal, das lief schon seit hunderten von Jahren so. Es gab immer wieder neue Prediger, sie kamen auf den wenigen befestigten Wegen und den angelegten Kanälen. Und je befestigter die Wege, desto mehr von ihnen. Sie sprachen von der Hölle, ein grausiger Ort, von einem Teufel und einem Gott. Sie richteten über Menschen, die sie nicht kannten, streuten Argwohn. Sie alle sollten mit dem Teufel im Bunde stehen. Eine Frau, die der verbotenen Heilkunst nachging und mit ihren fast 40 Jahren immer noch sehr schön war, passte genau in ihr Bild von der Verdammnis.

Wo sie zu finden war, das war dank einigen Münzen schnell rausgefunden, und so rückten sie eines Tages an um sie mitzunehmen, unterstützt durch einige Alteingesessene, denen seine Familie schon immer ein Dorn im Auge gewesen war.

Sie wehrte sich heftig mit ihren Söhnen und trotzdem wurden sie alle an Ort und Stelle niedergemetzelt und samt ihrem Hof und Vieh verbrannt. Bevor sie starb, verwünschte sie die Alteingesessenen, die hier kräftig mit am Werk gewesen waren. Sie schwor ihnen, sie würde wiederkommen und über ihre Kinder und Kindeskinder richten.

...

…erste hormonelle Turbulenzen…

Tabea zog sich in den Ohrensessel zurück und betrachtete die Amulette. Sie waren rund und aus Silber und offensichtlich sehr alt. In der Mitte war ein Wolfskopf eingraviert, umrandet von einem Kranz aus Rosen. Tabea befestigte ein Lederband an zweien von ihnen, damit sie ihres um den Hals tragen konnte. Eins befestigte sie an Peppis Geschirr, so fest, dass es nicht verloren gehen konnte. Das andere an dem Lederband stopfte sie in ihre Jeans und Buffy‘s stopfte sie in die Jackentasche. Sie zog sich Schnürstiefel an, verpackte sich in Handschuhe, Mütze und Schal und verließ das Haus. Mit Peppi im Schlepptau begab sie sich zum Stall, wo sie Buffy sattelte und das vierte Amulett an deren Trense befestigte.

Sie stieg in den Sattel und schlug den Weg zum Wald ein. Es hatte weder geschneit, noch gefroren und durch die wärmenden Sonnenstrahlen löste sich der Schnee langsam auf. Unerschrocken ritt sie durch den Wald und durch das Moor. Sie bewegte das Pferd in alten Spuren. Sie wollte zum Haus im Moor, instinktiv wusste sie, sie würde den Mann dort finden. Zwar war er verantwortlich für das Gefühlschaos in ihrem Inneren, aber laut Aaltje benötigte sie ihn zum Sieg über Leefke. Es sei denn, ihr Inneres würde ihr etwas Anderes sagen.

In Gedanken an Femke und ihren Mann ließ sie Buffy im Schritt gehen. Sie liebte ihre Freundin, wusste aber auch, sie musste jetzt Prioritäten setzen. Ihrer Trauer konnte sie später immer noch freien Lauf lassen. Es durfte nicht zu weiteren Morden kommen.

Sie tätschelte Buffy den Hals und rief Peppi heran, die im Unterholz herum stromerte. Der Hund jagte um das Pferd und freute sich seines Lebens. Sie schlidderte durch den Schneematsch und schleppte alles heran, was ihren Weg kreuzte.

Wieder wurde Tabea bewusst, wie still die Umgebung um ihr Haus geworden war. Noch vor einem Jahr war jeder Ausritt von Naturgeräuschen begleitet gewesen, die zu Wald und Moor dazu gehörten. Es herrschte absolute Stille und diese verlieh dem Ausritt etwas Bedrückendes. Sie kannte die Ursache, wusste aber auch, nach dem Sieg über Leefke würde sich alles regenerieren.

Nach ca. einer Stunde sah sie das reetgedeckte Haus. Sie hielt das Pferd an und rief den Hund zu sich, der neben ihr Platz nahm. Sie ließ den Anblick des Hauses, das versteckt zwischen den Tannen lag, auf sich wirken. Die in ihr aufkommende Unruhe versuchte sie zu ignorieren. Aber die Schmetterlinge tanzten schon, ohne ihn zu sehen.

Langsam setzte sie sich in Bewegung auf das Haus zu. Als sie vor einem großen Tor ankam, sah sie ihn. Bente stand im Schuppen und hackte Holz, ganz Gottes Geschenk an die Frauenwelt, das er nun mal war. Die langen Haare waren hinten zusammen gebunden. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und mit absoluter Lässigkeit und Leichtigkeit spaltete er Holz, hob mit nur einer Hand die dicksten Brocken hoch. Enorme Muskeln spannten sich unter dem Hemd. Er war riesengroß und wie sie fand, einfach außergewöhnlich. Er trug Jeans und ein Baumwollhemd, darüber eine Lederweste… wie ein Uralt-Rocker. Sie beobachtete ihn total ergriffen, hormonelles Chaos breitete sich im Inneren aus. Selbst der Hund und das Pferd verhielten sich ruhig. Plötzlich drehte Bente sich um und schaute sie ernst an, was Tabea aus ihrer Verzückung riss. Er ließ die Hand mit der Axt sinken. Seine Augen schienen sich in ihre zu versenken. Langsam kam er auf sie zu. Vor dem Gatter blieb er stehen und sah sie an. Keiner sagte einen Ton, nur Peppi wedelte mit dem Schwanz. Während er sie anstarrte öffnete er das Gatter, ohne ein Wort zu sagen. Er trat an die Seite, um sie durchzulassen. Peppi ließ nicht lange auf sich warten und sprang ihn freudestrahlend an. Er bückte sich und die beiden begrüßten sich wie alte Freunde.

„Hmm, interessant“, flüsterte Tabea.

„Im Schuppen steht mein Pferd, daneben ist noch eine Box frei, dort kannst du deine Stute abstellen“, sagte er mit tiefer, melodischer Stimme, die Tabea einen Schauer über den Rücken jagte.

„Ich mach denn mal Kaffee, oder lieber Tee?“ fragte er sie mit ernstem Gesicht.

„Kaffee wäre schön“, antwortete sie und ärgerte sich, dass ihre Stimme nicht so souverän klang, wie sie sollte.

Während Tabea zum Schuppen lief, dreht Bente sich um Richtung Haus, Peppi schwanzwedelnd hinter ihm her. Tabea schüttelte den Kopf und grinste, der erste Schritt war getan.

Der Schuppen war viel größer, als es von außen den Anschein hatte. Im hinteren Teil sah sie einen riesigen Wallach stehen, offensichtlich ein Clydesdale. Der Schimmel lugte hoch und fing an zu wiehern, als er Buffy sah. Auch die schien sichtlich interessiert. Die Box neben dem Wallach war tatsächlich frei und allem Anschein nach frisch ausgestreut, als hätte sie auf den Neuzugang gewartet. Tabea entfernte Sattel und Zaumzeug und stellte das Pferd  in die Box. Buffy und der Wallach fingen an sich zu begrüßen. Dann widmeten sie sich dem Heu in der Ecke.

Tabea schaute sich um. Alles war aufgeräumt und sauber.

„Wow“, murmelte sie vor sich hin. Die angrenzende Werkstatt ließ auch nichts zu wünschen übrig.

Sie schaute noch einmal zu den Pferden, die friedlich nebeneinander fraßen und begab sich zum Haus.

 

….dance me to the end of love….

 

Bente ließ die Haustür offen stehen, schloss jedoch die Verbindungstür zum Wohnraum. Vor dem Kamin lag ein alter, riesiger Dobermann, der sich langsam erhob und auf Peppi zu lief. Sie schmiss sich vor dem Rüden direkt auf den Rücken und ließ die Beschnüffelung über sich ergehen. Dann sprang sie auf die Beine und forderte ihn zum Spiel auf.

„Das schafft er nicht mehr, kleines Mädchen“, flüsterte Bente Peppi zu und klopfte ihr den Rücken. Dabei entdeckte er das Amulett und betrachtete es. Er hatte also den richtigen Riecher gehabt. Das Wappen der Rosien war auf dem Amulett zu sehen.

Peppi trottete hinter dem Rüden her und legte sich gemeinsam mit ihm ab. Beide schliefen sofort ein.

Bente lief in die Küche und setzte Wasser auf. Er schnappte sich eine Kaffeekanne aus Porzellan und setzte einen Filter auf die Kanne. Dann zermahlte er Kaffeebohnen in der Mühle. Gedanken rasten durch seinen Kopf und seine Eingeweide tanzten Samba. Sie war da, genau wie Aaltje es ihm vorhergesagt hatte. Und sie war viel schöner als bisher vermutet. Wache, braune Augen, eine gerade Nase, volle Lippen zum Knabbern. Ein schöner Busen und ein toller Hintern, sofern er das auf die Schnelle beurteilen konnte. Ihr Gesichtsausdruck offen und manchmal unsicher, aber er spürte einen Hang zur Renitenz, was ihn amüsiert lächeln ließ. Er war hin und weg und wunderte sich über seine eigene Gelassenheit.

Er goss Wasser auf den Kaffee und ein aromatischer Geruch verbreitete sich im Raum. Zwei Kaffeebecher wurden auf das Tablett gestellt, dazu brauner Würfelzucker und ein Kännchen Sahne. Dazu stellte er eine Schale mit American Cookies. Die hatte er öfter bei ihr auf dem Tisch stehen sehen.

Er beobachtete sie schon lange, schon bevor die Morde durch Leefke begannen. Er hatte sie regelrecht gestalked, aber für ihn fühlte sich das anders an, gesünder! Ihren Absturz hatte er mitbekommen und gehofft, sie würde sich schnell wieder fangen. So wie sie ihm heute gegenüber trat, war er sicher, sie hatte es überwunden. Ihre Ausstrahlung war kraftvoll und voller Energie.

Er ließ erneut Wasser durch den Filter laufen und sah sie über den Hof kommen. Ihre Mütze saß schief auf dem Kopf und das Sonnenlicht flutete über ihr dunkles Haar. Er hörte sie die Haustür schließen und an der Verbindungstür klopfen.

„Komm herein, Kaffee ist fertig. Deine Jacke und Schuhe kannst du im Flur stehen lassen, das Haus hat Fußbodenheizung. Damit stellte er das Tablett auf den Couchtisch und bat sie Platz zu nehmen. Tabea war angetan von dem gemütlichen Raum. Ein riesiges Chesterfield Sofa stand im Raum mit zwei großen, gemütlichen Sesseln.

„Wie schön“, entfuhr es ihr.

„Schön, es gefällt dir“, grinste er sie an. „Ich wollte ein riesiges Sofa, Platz für zwei, “entfuhr es ihm.

Sie überhörte diese Bemerkung, obwohl ihr Innerstes gerade schrie: “Los rauf da und nimm ihn mit...“

Er schien ihre Gedanken lesen zu können und strahlte sie mit perfektem Gebiss an. Sie setzte sich in einen Sessel und er sich ihr gegenüber. Das Grinsen schien in seinem Gesicht festgefroren zu sein.

„Wie möchtest Du deinen Kaffee?“

„Nur mit Milch, bitte“, stammelte sie.

Seine blonden Haare waren mit vielen grauen Strähnen durchzogen, blaue Augen leuchteten ihr entgegen  und sie hatte Mühe ihre Atmung zu kontrollieren.

„Ich heiße Bente“, verkündete er plötzlich.

„Ich bin Tabea, meine Freunde nennen mich Tabbi“, flüstere sie über den Rand ihres Bechers hinweg.

„Ich weiß“, entgegnete er entwaffnend. „Hab ich an deinem Türschild gelesen.“

Sie wusste nicht, ob sie belustigt oder geschockt sein sollte.

„Also Stalking rund um das Haus und nicht nur Wohnzimmer und Schlafzimmer“, konterte sie bissiger als gewollt.

Sie sah, dass er zusammen zuckte und entschuldigte sich für ihren Ton.

„Passt schon“, murmelte er. “Hab ich verdient. Ich hab mich nur nicht getraut dich anzusprechen.“

„Wie lange schleichst du schon um mein Haus oder beobachtest mich heimlich im Wald?“ fragte sie ganz im Kommissarinnenton.

Plötzlich war er auf der Hut, hier saß ihm kein Zimperlein gegenüber.

„Schon recht lange,“ gestand er ein und sah sie betreten an.

„Wie lange?“

„Ist das ein Verhör, sollte ich meinen Anwalt anrufen?“ fragend sah er sie an.

„Wie lange?“ stocherte sie weiter in seiner Wunde.

„Ein paar Jahre,“ gestand er ein und ihr Unterkiefer klappte nach unten.

Staunend und sprachlos starrte sie ihn an. „Was gibt es denn schon an mir zu begaffen?“

„Einfach alles!“

„Oh,“ war alles, was sie heraus brachte. Beide waren still und tranken Kaffee. Sie versuchte, das Thema zu wechseln und befragte ihn zu seinem Pferd.

„Das ist Jethro, ein 19 jähriger Clydesdale. Hab ihn vor 16 Jahren in Holland auf dem Pferdemarkt gekauft.“

Sie erzählte kurz von Buffy, dann versanken beide wieder in ihrem Kaffee.

„Wie alt bist du?“ fragte er sie plötzlich.

„Sechsundfünfzig“, antwortete sie perplex.

„Hast dich gut gehalten!“

„Danke, du dich aber wohl noch besser“, prustete es aus ihr heraus.

Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie fragend an.

„Vermute ich“, stotterte sie.

Er füllte ihre Becher erneut und sagte nichts dazu. Aber er wurde deutlich vorsichtiger.

„Weißt Du, als was ich arbeite?“ fragte sie ihn rund heraus.

Er nickte zögernd und fühlte sich, als scheuche sie ihn trommelnd übers Minenfeld.

„Ich merke sofort, wenn jemand bei einer Antwort rumzickt!“

Er lachte. „Ich dachte eigentlich, dies ist eine gemütliche Stunde zum Kennenlernen. Ich war mir nicht darüber im Klaren, dass ich hier durch die Mangel gedreht werde.“

Sie schoss nach vorne und sah ihm fest in die Augen. „Das geht anders, also spuck es aus. Wie alt bist Du?“

Die Luft zwischen ihnen knisterte gefährlich.

Er zögerte eine Weile und überlegte nach einer Antwort, die Madame zufriedenstellen würde.

„Dreiundfünfzig“, verkündete er.

„Da hast du wohl ein paar Jahrhunderte vergessen, kann ich verstehen. Wer so alt ist, kann sich schon mal um ein paar Jahre verzählen.“

Was für ein dreistes Weib, die zog ihm glatt die Schuhe aus. Aber er musste auch feststellen, wie viel sie wusste.

„Vierhundertdreiundfünfzig“, antwortete er und starrte sie fest an. Mal sehen, wie sie darauf reagieren würde.

„In die Richtung dachte ich auch“, stellte sie selbstbewusst fest. Er fühlte sich wie auf glühenden Kohlen sitzend, sie dagegen schien auf einer Eisscholle zu hocken.

„Woher kennst du Leefke?“ Die Befragung ging augenscheinlich weiter.

„Du kennst sie?“

Sie nickte und wartete ab. Das Thema schien ihm sichtlich schwer zu fallen, aber sie brauchte Antworten.

„Leefkes Schwester Aaltje ist meine Vorfahrin“, gab sie zu.

„Dachte ich mir, Du hast ihre Augen, die große Klappe kommt eher von Leefkes Seite.“

Entrüstet saß sie ihm gegenüber. Was für ein Früchtchen, fuhr es ihm durch den Kopf.

„Erzähl du zuerst, dann füge ich hinzu, was ich dazu beitragen kann“, schlug er vor. Sie willigte ein und begann zu erzählen. Er lehnte sich im Sessel zurück und nickte. Er wollte ihr gefallen und obwohl es um Leefke ging, knabberte er sich in Gedanken gerade an ihrem Hals hoch. Sie hatte viel von Leefke und Aaltje, aber da war auch noch etwas anderes. Er fragte sich, inwieweit der Wolf in ihr ausgeprägt war. Er musste präsent sein, er erkannte es an ihren Augen. Wenn ihr Blut zu brodeln begann, wechselte ihre Augenfarbe ins Gelbe.

„Hörst du mir überhaupt zu?“ donnerte sie plötzlich in seine Gedankenwelt und riss ihn aus seinen Überlegungen.

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