Textkunst von Suta Wanji
Romanauftakt von Daaje Wiemers: Güllefund
...Der Tag begann grau und trübe, die Sonne drang kaum durch die diesige Matte am Himmel. Es dauerte nicht lange und ein neuer Regenschauer prasselte auf die Erde und setze binnen kurzer Zeit alles unter Wasser, brachte Gullis zum Überlaufen und ließ die Keller voll laufen. Vor dem Hause Eilers hatten sich bereits ab vier Uhr morgens die Presseteams eingefunden, alle auf der Jagd nach neuen Sensationen. Sogar das Fernsehen war vor Ort und stand mit entsprechend großen Fahrzeugen in der Straße. Beuteheischend hatten sie sich alle eingefunden und waren bei einsetzendem Platzregen in die Wagen gesprungen. Dort harrten sie aus, hoffend die Wetterlage würde sich schnell verbessern, gierig, den täglichen Konkurrenzkampf um die Gunst der Leser zu gewinnen. Nach einer Stunde starken Dauerregens verebbte er und es gelang der Sonne doch, die Herrschaft über den Himmel zu gewinnen. Warm und freundlich sendete sie ihre Strahlen zur Erde und die Reporter stiegen aus den Wagen, lachend und sich wieder gegenseitig neckend, alle bemüht, den perfekten Platz zu ergattern. Arrogant stolzierte Harald Hinrichs auf und ab, allen mitteilend, dass seine Zeitung die Exklusivrechte habe. In einer Stunde habe er einen Termin mit Herrn Eilers. Während er sich weiter zur Schau stellte, bemerkte eine junge Reporterin dunkle Flecken an den zugezogenen weißen Vorhängen des Eilerschen Hauses. Sie war sich sicher, gestern waren die Vorhänge noch schneeweiß. Außerdem störte sie die Unregelmäßigkeit der Flecken. Sie teilte dies ihrem Fotografen mit und beide setzten sich ab Richtung Nachbargrundstück, von wo aus sie in den Garten gelangten. Argwöhnisch betrachteten sie die offene Verandatür und das Wasser, das ins Haus lief.
„Das stinkt doch zum Himmel!“, flüsterte sie ihrem Kollegen zu. „Vielleicht sollten wir die Polizei rufen!“
„Ohne Bilder?“
„Ja, du Blödmann weißt genau, dass das richtig Stress mit der Polizei gibt. Hab ich keinen Bock drauf!“
„Ich geh trotzdem schauen, ruf du sie an. Wenigstens platzt dann der Termin von dem arroganten Gockel!“, frohlockte er und schlich vorsichtig zur Tür. Nach ein paar Metern blieb er jedoch stehen und starrte auf den Rasen. Mit einem Sprung hechtete er zum nächsten Blumenkübel und übergab sich.
***
Mit aschfahlem Gesicht kam Baldwin ins Meeting zurück.
„Eine Tote bei Wiesmoor, der Kollege von Fritjof übernimmt, ebenso die Kollegen aus Aurich. Fritjof und ihr seid angefordert für Ardorf. Dort muss die Hölle los sein. Presse und Fernsehen ist präsent, die Auricher Kollegen versuchen sie zurückzudrängen, ebenso die Schaulustigen, die sich dutzendweise dort versammelt haben. Der Mob schreit schon nach Informationen. Es muss schlimm sein, die Kollegen aus Aurich sind nicht ins Haus gegangen, stehen wohl fast alle kotzend im Garten. Fahrt alle drei, ein Team der KTU Aurich ist vor Ort und wartet auf Fritjof, der schon auf dem Weg ist. Keine Ahnung, was passiert ist, aber es muss schlimm sein!“
„Der Tag fängt ja gut an!“, stöhnte Ihno, während er seine Koffer schnappte.
„Und das ist erst der Anfang!“, fügte Petra hinzu. Sie sollte recht behalten.
***
Zwanzig Minuten später hatten wir das Ortsschild Ardorf passiert und bogen ab zu unserem Zielort. Leider war es uns nicht möglich dorthin vor zu dringen, weil Dutzende von Fahrzeugen den Weg unpassierbar machten. Ihno telefonierte mit den Einsatzkräften vor Ort und nach zehn Minuten wurden die Presse und alle anderen Schaulustigen mitsamt ihrer Fahrzeuge zurückgedrängt Richtung Ortseingang.
„Zieht das Absperrband bis zu den Straßenenden, ich will keine unliebsamen Überraschungen!“, wies Ihno die Kollegen an, die alle leichenblass aussahen.
Gleich darauf konnten wir passieren und standen auf der Auffahrt des Eilerschen Hauses. Wir stiegen aus den Fahrzeugen und betrachteten die Umgebung. Ein Kollege aus Aurich trat auf uns zu und berichtete vom Anruf der Reporterin.
„Und sie sind nicht drinnen gewesen?“, fragte Ihno ungläubig.
„Nein, der Fotograf hat die offene Tür gesehen und stand plötzlich vor einem menschlichen Auge. Er hat sich in einen Blumenkübel übergeben und seine Kollegin hat uns sofort benachrichtigt, ohne die Pressekollegen vorne zu informieren. Wir haben Baldwin informiert und Fritjof, wir wussten ja, dies hier ist euer Spielplatz. Ich hab einen kurzen Blick ins Haus geworfen, auch nur von außen. Um diesen Einsatz beneide ich euch nicht, aber seht selbst. In dem blauen Kübel ist der Mageninhalt des Fotografen, in dem Brauen meiner!“, fügte er schief grinsend hinzu.
„Ok, Kollege. Wir ziehen uns jetzt die Ganzkörperkondome an und ihr sorgt bitte dafür, dass niemand uns stört. Sobald Fritjof da ist, schick ihn direkt nach hinten. Wo stecken die Kollegen der KTU Aurich?“
„Im Garten, machen Fotos von den Fenstern. Der Regen hat alle Spuren beseitigt, wird nicht einfach!“
Ihno und der Kollege liefen nach vorn, während Petra und ich das Haus musterten, indem wir vor zwei Nächten noch geschlafen hatten.
„Er war hier, Daaje! Und er war nicht allein!“, entfuhr es Petra.
Ich versuchte, gegen das aufkommende Unbehagen anzukämpfen. Ich konnte das unsagbar Böse spüren und Petra ebenso.
„Du musst nicht mit rein, du kannst hier im Auto warten oder draußen alles absuchen,“ ermunterte ich sie.
„Und du brauchst mich nicht beschützen, Daaje Wiemers. I am not a princess, Iam a queen! I can handle my own shit!“
Ich war sprachlos!
„Wir müssen uns umziehen, kennst du ja schon das Procedere!“
Wir warteten auf Fritjof, damit wir koordiniert vorgehen konnten und der ließ auch nicht mehr lange auf sich warten.
„Hallo Leute schön euch zu sehen, wenn die Umstände mir auch weniger gefallen,“ legte er gleich los. „Ihno und ich gehen zuerst rein mit einem Techniker der KTU Aurich, wir rufen euch dann!“
Petra und ich waren einverstanden. Ich beobachtete meine Freundin, sie war völlig in sich gekehrt.
„Alles ok?“, fragte ich sie vorsichtig.
„Hör jetzt auf, ich bin doch kein Knuddelbaby!“, fauchte sie mich an. Nee, das war sie nicht, sie war gerade dabei sich in eine kaltschnäuzige Zicke zu verwandeln.
„Sorry, tut mir leid, ich versuche gerade die Eindrücke, die auf mich einstürmen, zu sortieren!“
„Mach ruhig, ich schau derweil in die offene Tür!“
Ich lief zu dem Schild auf dem Rasen, auf dem eine fette 1 prangte. Ein blutverschmierter Augapfel starrte mich an und stoppte meine wagemutigen Schritte zur Tür. Der Farbe nach gehörte er zu Irene Eilers. Wer immer dort im Haus gewütet hatte, unbändiger Hass war sein Begleiter gewesen. Ich riss mich von Frau Eilers Auge los und teilte Ihno mit: „Ich such den Rasen ab, soweit man in diesem Wasserloch überhaupt was findet.“
„Tüte zuerst das Auge ein, Daaje! Was ist mit Petra? Was steht die da so verdrossen? Meditiert sie?“, fragte mich Ihno neugierig.
„Sammelt Eindrücke!“, brummte ich.
„Ärger im Paradies?“, frotzelte er drauf los.
„Findest du, dass sie sich verändert?“
„Ja, tut sie. Aber es steht ihr gut!“
Er drehte sich um zu Fritjof und dem Auricher Kollegen, der knapp grüßend an mir vorbei lief.
„Arroganter Arsch“, flüsterte ich und Ihno warf mir einen warnenden Blick zu, bevor er vorsichtig den sumpfigen Rasen Richtung Verandatür in Augenschein nahm.
„Wollen wir?“, fragte er die Kollegen und zu dritt den Boden absuchend, schoben sie sich vorwärts.
Sie betraten das Haus, gleich darauf stolperte der Auricher Kollege ins Freie zurück. Er übergab sich direkt neben die Tür. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich kann da nicht wieder rein, das halte ich nicht aus!“, stöhnte er würgend.
Bevor ich etwas sagen konnte, lief Petra zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.
„Ich geh für dich rein!“, teilte sie ihm mit fester Stimme mit und eh ich mich versah, war sie im Haus verschwunden.
Nach zehn Minuten meldete sich Fridjof.
„Kannst reinkommen, halt dich rechts, an der Wand lang. Wenn dir schlecht wird, sofort raus. Nicht, dass du meinen Tatort verunreinigst! Obwohl das Wasser auch schon ganze Arbeit geleistet hat“
„Ok, komme gleich rein!“
Im Türeingang blieb ich wie angewurzelt stehen. Der Geruch, der immer noch aus dem Haus drang, war überwältigend ekelig. Kein Wunder, dass dem Kollegen schlecht geworden war. Ich starrte vom Eingang aus direkt in das Ekelzentrum der Aktivitäten. Mir stockte der Atem. Der Tatort hätte direkt aus einem blutigen Horrorfilm stammen können. Er war das beste Beispiel für hemmungsloses Abschlachten, und ich lernte gerade, dass es für jedes Entsetzen noch eine Steigerung gab. Hier war jemand mit ungeahnter Brutalität vorgegangen.
„Das war doch kein Vampir!“, entfuhr es mir.
„Stimmt! Das war seine Königin, Daaje!“, klärte Petra mich auf.
„Bist du sicher?“
Sie nickte nur und wandte sich an Fridjof. „Soll ich mit Ihno oben anfangen?“
„Wieso oben?“, fragte ich, immer noch sichtlich erschüttert.
„Da gibt es noch so einen Schauplatz, vermutlich Herr Eilers! Ich geh jetzt mit Petra hoch, zweite Kamera ist noch im Koffer, Fridjof!“ An Petra gewandt fragte Ihno sie: „Hast du die Fußabdrücke auf der Treppe fotografiert, Petra?“
„Ja, hab ich, mache jetzt oben mit den Wänden weiter!“, rief sie nach unten.
„Du hast die Schilder vergessen!“, rief Ihno und stieg die Treppe nach oben hoch, dabei die Nummern aufstellend. Fritjof hielt mir die Kamera hin.
„Fang nebenan in der Küche an! Boden, Wände usw.. Kennst du ja. Wir nehmen unten die blauen Schilder, die gelben werden oben genutzt!“
„Ist gut, mach ich!“
Ich lief über den Boden, der in Blut getaucht war. „Was sind das bloß für Fußabdrücke, Fritjof? Die sehen aus, wie die eines Affen!“
„Ja, hat Petra schon fotografiert, kannst so durchlaufen. In der Küche ist es nicht so heftig!“
Ich lief zur Küche und sah mich um. Blut an den Wänden, an den Vorhängen und hier und da Reste von Irene Eilers Körper.
„Oh, mein Gott! Was hängt denn hier über der Stuhllehne?“ schrie ich aus der Küche.
„Der Darm, fein aufgewickelt wie ein Lasso!“, tönte es aus dem Wohnzimmer zurück.
Typisch Fritjof, gelassen wie immer. Ich stellte das Nummernschild auf und fotografierte das Lasso, dann die Wände und den Vorhang und betrat erneut das Wohnzimmer.
„Soll ich den Darm eintüten?“
„Nein, erst machen wir die Fotos. Wenn du dort fertig bist, machen wir hier weiter.“
Ich besah mir das Schlachtfeld. Mein Blick fiel auf einen abgetrennten Kopf, in dem ein Auge fehlte und offensichtlich auch die Zunge. Das andere Auge lag auf dem Rasen. Der Hauptteil von Hannelores Körper lag in einem Sessel. Sie war ausgeweidet wie Vieh. Die Organe waren weggefressen. Auf dem Sofa in zwei Meter Entfernung klebte ein Stück Kopfhaut mit Haar. Ihre Finger waren zerquetscht, die Fingernägel durch den Druck aus dem Fleisch gesprungen. Sie lagen alle nebeneinander auf dem Tisch aufgereiht. Ihre Brüste waren abgerissen. Ich erkannte erst auf dem zweiten Blick, wo sie waren. Die Täterin hatte sie jeweils über zwei Lampenschirme gestülpt, die Nippel ragten in die Höhe.
„Wie abartig ist das denn, Fritjof!“ Es war mit Abstand der schlimmste Tatort, den ich in meinem Leben gesehen hatte.
„Für mich auch, Daaje! Ich habe schon viel gesehen, aber dieser Tatort übertrifft alles um Längen! Du bist leichenblass, geh für einen Moment an die Tür und schnappe frische Luft, sonst kippst du gleich aus den Pantinen!“
„Geht schon, ich will das hier hinter mich bringen! Wie sieht es oben aus?“
„Schlimmer! Hier unten hat sie gefressen, mit Herrn Eilers hat sie in Sigrids Zimmer gespielt. Sie hat Organe entnommen und wie Bilder an der Wand aufgehängt. Seinen Schwanz hat sie wie ein Kondom über den Wasserhahn im angrenzenden Badezimmer gestülpt, seine Eier hängen am Handtuchhalter. Seine Augen schwimmen im Aquarium, seine Kopfhaut klebt wie ein Hut auf dem Kopf eines Teddys. Seine Ohren hat sie abgerissen und in zwei Kopfhörer gestopft. Glaub mir, hier unten ist es wesentlich angenehmer! Diese Morde sind so brutal ausgeführt und es scheint dem Monster einen Heidenspaß gemacht zu haben!“
„Was kommt da bloß auf uns zu, Fritjof. Wir sollten Baldwin informieren, der muss wissen, was hier los ist.“
„Kannst du das machen? Und danach fang bei den Lampen und dem Tisch an. Keinen Fleischfitzel auslassen, bitte!“
Ich öffnete meinen Anzug, fischte mein Telefon aus der Jeans und stellte mich an die Tür zur Veranda. Mitleidig sah mich der Auricher Kollege an. Zumindest hatte er sich nützlich gemacht und Transportkisten für den Abtransport in die Pathologie bereitgestellt.
„Ich kümmere mich um ein entsprechendes Fahrzeug, ok?“, fragte er mich vorsichtig.
Ich nickte und wartete, bis er um die Hausecke verschwunden war...