Meine Texte zum Nachhören und Nachlesen
Frust am Telefon
Frust am Telefon
Nervös nehme ich den Hörer ab, lege ihn auf den rustikalen Eichentisch. Da kommt der Summton: Diiiiiii... Deine Nummer? Ach ja... 52124, und jetzt noch die 7 tippen, geschafft, diese Tastentelefone, komisch, Dank der Technik höre ich Dich jetzt fünf Sekunden eher... Da! Durchgewählt: Di dii, di dii, ich warte. Gedanken schießen von allen Seiten auf mich ein: Wird er mich an der Stimme erkennen? Wie werde ich ihn begrüßen? Jetzt! "Hier ist der automatische Anrufbeantworter mit der Nummer 521247. Ich bin zurzeit nicht erreichbar. Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen woll..." – Enttäuschung wird laut. Scheiß-Technik. Dieser blöde Automat, oh Gott, der wartet ja, was soll ich jetzt bloß sagen? Leg ich auf? Nein, ich will ihn ja sprechen, also, äh: "Stephan? – Äh, Stephan, ich bin's. Äh, kannst Du mich bitte zurückrufen, wenn Du heimkommst? Ja? Bitte! Tschüß!"
Uff. Diese Hektik. Eben war ich noch ganz ruhig. Ach Quatsch, stimmt ja gar nicht, ich war ganz schön aufgeregt – und dabei hätte ich doch bloß seine Stimme gehört. Na ja. Apropos "gehört": Der Hörer gehört ja eigentlich auf die Gabel und nicht in die Blumen!
Ich muss kichern, Gott, wo hab' ich bloß heute wieder meinen Kopf? Der Frust hat sich allmählich wieder gelegt. Was mach' ich jetzt? Auf Stephan’s Anruf warten? Was sonst! Und... ach, was soll's, strick' ich halt noch'n paar Reihen, jetzt isses auch egal! Wo hab' ich bloß das Strickzeug abgelegt? Auf der Couch liegt es nicht. Wo hab' ich das verflix... huuh, der Hocker neben dem Telefon, natürlich, ja, da liegt es ja, huuh. So, mal sehen, wann er anruft. Wo war ich eigentlich stehen geblieben? Da, genau, die Reihe noch fertig und dann wieder zwei links, danach dann wieder Rot und das Muster nicht vergessen...
Wie haben wir uns eigentlich kennengelernt? Ach ja, in der Straßenbahn. Es war nur noch der eine Platz frei. Und als Du Dich suchend umblicktest, sahst Du, wie ich mich gerade hinsetzte. Zuerst hast Du gegrinst, und dann... dann hast Du Dich heimlich doch geärgert. Dauernd hast Du zu mir herübergesehen... wegen mir oder wegen des Platzes? – Na ja, dann sind wir beide an der Klettstraße ausgestiegen, und da war's passiert.
Prompt! Jetzt kann ich wieder zwei Reihen aufribbeln. Und alles wieder wegen Dir, hhh. Nur, weil Du rote Muster haben willst. Na ja, schlecht sieht's eigentlich nicht aus. Gefällt mir sogar. Aber Hauptsache, Du ziehst ihn an. Das ist schon der Dritte mit roten Mustern, glaub' ich. Das Dir das nicht langweilig wird! Egal, dann hab' ich wieder'n Weihnachtsgeschenk. So, jetzt verknoten und weiter geht's.
Schön fünf. Wehe, Du rufst nicht an, Stephan, dann passiert was. Dann such' ich mir 'n anderen. Ooch maan, Stephan! Los, ruf' an, ich will mal wieder mit Dir kuscheln. Und dann... ich muss wieder lachen... unter der Decke dieses: "Liebst Du mich noch? Hm?" Und Dein Gesicht dazu. Dieses Schmollgesicht. Süß! Und immer dieselbe Frage. "Natürlich!", knabber' ich Dir dann ins Ohr. Los, ruf' an, wir haben schon lange nicht mehr gekuschelt. So schön warm, Dein Atem... So, jetzt wieder weiß, zwei rechts, zwei links, klick... klick, zwei hoch, eine fallen lassen, zurück, zwei hoch, eine fallen... Ring, rring. Stephan! Na, endlich! Juchuu, endlich. Ring, rring. Jaa, ich bin ja schon da. Hörer noch abnehmen. Junge, ist der schmutzig. Ich muss unbedingt wieder putzen. "Hallo Stephan, bist Du's? – Hallo?" – "Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe mich verwählt." Klack. Oou nein! Das darf doch nicht wahr sein! Maan! Ich fang' gleich an, zu heulen. Immer mir, immer mir passiert sowas. Schnüff. Mann. Scheiß-Telefon. Wumm, wumm, wumm, maan. Frust! Stricken hab' ich jetzt auch kein' Bock mehr. Den Pulli kann er selber fertig stricken. Ob ich noch mal anrufe? Nö, jetzt nicht mehr. Ich muss erst mal was essen. Ding dong, ding dong. Ooh! Wer ist das denn? Immer im passenden Moment. Und wie seh' ich wieder aus? Ach, egal, ich hab' keinen eingeladen. Ding dong. Moment! Wo ist bloß der Haustürschlüssel? Ach ja, in der Jackentasche. Bin schon da! Klack, klack, zing. Den Türgriff muss ich auch putzen! – "Stephan!"
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