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Ein Flirt im Jahre 2026 (die phantastischere Version)

Ein Flirt im Jahre 2026 (die phantastischere Version)

Ich nahm den Inter-Slide, er war der Schnellste. Nicht, dass ich keine Zeit gehabt hätte, aber irgendetwas ließ mir keine Ruhe. Seit ich den Unfall gehabt hatte, war ich ziemlich nervös. Etwas Ähnliches konnte sich hier jeden Tag wiederholen. Ich glaubte nicht an Unfälle dieser Art. Einiges daran war merkwürdig. Meine Ausrüstung war schwer demoliert worden. Sogar den teuren Hybrid-Sensor hatte es erwischt. Er funktionierte kaum noch, war nicht mehr verlässlich! Das war übel. Auf Triton hoffte ich, einen neuen zu bekommen. Auch deshalb hielt mich hier wenig. Außerdem fehlte mir die Sonne. Gut, selbst auf Triton war sie nur mit Hilfe der Metronen-Teleskope spürbar, aber sie war spürbar. Das war zumindest etwas. Hier, auf diesem abgestorbenen, gottverdammten Planeten wurde man nach kürzester Zeit depressiv, ich meine richtig depressiv: Sechs Monate unter der Erde, das war schon reichlich. Die meisten hielten nicht mehr als vier bis fünf Monate durch, bevor sie dann wieder auf eine der nahe gelegenen Kolonien flüchteten. Ein halbes Jahr, das war mehr als genug.
            Viel Sonne bekam ich auf diesem Flug leider auch nicht ab. Der größte Teil der Triton-Linie lag im Moment im Erdschatten und andere Kapazitäten waren ohnehin kaum frei, außerdem brauchte ich den neuen Hybrid-Sensor dringend, und die gab es in der inneren Zone nur auf Triton. Wenn ich den Auftrag auf Ganymed bekam, würde ich darauf angewiesen sein. Die Pleonar-Hybriden hatten sich dort schlagartig vermehrt und waren ziemlich gefährlich geworden. Sie mussten vernichtet werden, bevor sie eine der Fähren kapern konnten. Und auf die äußere Zone hatte ich im Moment ohnehin keine Lust. Es wurde was von Epidemie gemunkelt. Da blieb ich lieber, wo ich war. Zudem fand ich den Auftrag spannend. Es war mal was anderes, und das konnte ich jetzt gut vertragen.
            Langsam erreichten wir die Umlaufbahn. Triton sah aus wie immer: Staubig und trocken. Jedes Mal, wenn ich ihn im Anflug von oben sah, bekam ich Lust auf einen Whiskey. Und jedes Mal stellte ich mir vor, wie es sein müsste, jetzt ein Glas davon in der Hand zu haben. Als wir landeten, dachte ich an Shane. Ich hatte sie hier kennengelernt, aber gesehen hatte ich sie seit Jahren nicht mehr, und TP-Kontakte in die äußere Zone waren schwierig, zumindest für mich, so gut war ich nicht. Plötzlich passierte etwas Eigenartiges: Eine Frau tauchte auf einmal auf wie aus dem Nichts. Ich nahm sie sehr vage wahr und konnte sie nur schlecht verstehen. Sie lächelte. Zuerst dachte ich, es sei Shane, aber das konnte nicht sein. Dann war sie weg. Ich versuchte, ihr Bild wiederzubekommen, aber der Kontakt riss ab. Mir fiel ein Satz aus meiner Psychologieschulung ein: Was wichtig ist, kommt wieder. "Naja, mal sehen", dachte ich, "vielleicht war es wichtig und sie kommt wirklich wieder."
            Zum ersten Mal passierte ich die neuen Kontrollen: Mittlerweile tasteten sie aus Sicherheitsgründen die Strukturen der vorderen Hirnlappen mit neuartigen, hochsensiblen Speziallasern ab, um Dich zu identifizieren, seit die ersten Kalon-Hybriden selbständig perfekte künstliche Netzhäute entwickelt hatten und das alte Verfahren nicht mehr sicher war. Man befürchtete eine Kollaboration mit den Pleonaren. Anschließend ging ich hinunter zur Lane und sah mich nach einem CJ um. CJ bedeutete "City-Jet". Es gab Zwei- und Viersitzer. Sie waren so etwas wie Taxis, allerdings flogen sie etwas niedriger und waren schneller. Nach einigen Minuten hatte ich Glück. Ein leerer Zweier kam vorbei. Ich ließ mich zum 'Sunlight' bringen, da hatten sie noch immer die besten Metronen-Solarien. Sie holten das Sonnenlicht mit gewaltigen Transmitter-Teleskopen so nah heran, dass Du die Wärme auf der Haut spüren konntest. Dafür, dass wir uns in der Nähe des Mars befanden, war das schon gewaltig. Zwar konntest Du keinen Sonnenbrand bekommen, dazu reichte es natürlich auch hier nicht, aber es war einfach ein unglaubliches Gefühl. Dafür kostete es dann entsprechend. Naja, einmal im Jahr wollte ich mir was gönnen, daher sparte ich immer für Triton.

            Der CJ tastete noch eben meine Netzhaut ab, dann konnte ich aussteigen. So genannte Kreditkarten gab es schon lange nicht mehr. Die Abtastung war immer noch das Sicherste. Die Punkte wurden dann automatisch abgezogen. Nach meinem Aufenthalt auf Triton würde ich ziemlich pleite sein, deshalb war ich auch so scharf auf Ganymed. Der Job brachte 2500 Punkte. Das würde drei bis vier Monate reichen. Ich quartierte mich im 'Sunlight' ein und ging erst mal in meine Einheit. Sie war ganz gemütlich. Eigentlich sah sie aus wie immer, allerdings waren die Bezüge letztes Jahr andere, diese hier waren nicht besonders geschmackvoll aufeinander abgestimmt, aber was machte das? Ich stellte den Tornister auf den Tisch, wies den Voice-Server an, das Licht herunterzudrehen und leise Musik zu spielen. "Was für Musik möchten Sie hören?", fragte eine angenehme, etwas zu bassbesetzte Herrenstimme. "Seltsam", dachte ich, "letztes Jahr hatten sie noch eine Frauenstimme, warum haben sie sie ausgewechselt? Sie war sehr anregend!" – "ääh, etwas Langsames bitte, Blues oder Walzer oder sowas", sagte ich, "haben Sie sowas?" – "Ja, natürlich!", antwortete die Stimme. "Gut", erwiderte ich, "dann spielen Sie's!"
            Das Bett war groß und breit. Das hatten sie hier nicht geändert. Der Service war in Ordnung. Pannen gab es selten. Das war bei weitem nicht überall so. Ich liebte diese Betten und sprang voller Freude hinein. "Aah, welch eine Wohltat!" Die Einheit war angenehm abgedunkelt und der Voice-Server hatte mit der Musik einen guten Griff getan – auch etwas, was ich am 'Sunlight' so schätzte. Langsam begann ich einzudösen. Mit einem Mal riss mich eine Explosion aus dem Halbschlaf. Benommen ging ich zum Fenster und wies den Server an, die Jalousien zu kippen. Unten vor dem Gebäudekomplex sah ich etliche Metallteile brennen. Schwarzer Rauch stieg auf. In der ganzen Umgebung verstreut lagen Reste von verschmorten Plexon-Konstruktionen, wahrscheinlich von einem Antriebsblock. Ein CJ musste abgestürzt sein. Hinter den Flammen sah ich drei zerfetzte Leichen auf der Lane liegen. Auch wenn die CJs ziemlich tief flogen, Abstürze endeten fast immer tödlich. "Wann endlich werden diese Dinger bloß sicherer? Sie sollten die Kisten mit der neuen H-N-T-Technik ausstatten, dann würden solche Geschichten nicht mehr passieren", dachte ich nur, dann legte ich mich wieder hin. Die Musik lief noch, aber ich konnte mich kaum mehr entspannen. Meine Gedanken schweiften, und auf einmal hatte ich wieder Shane vor mir. Ich wünschte, sie wäre jetzt hier.
            Plötzlich war da noch jemand. Shane wurde in den Hintergrund gedrängt, und dann sah ich wieder das Bild der jungen Frau vor mir, das ich bereits kurz nach der Ankunft vage wahrgenommen hatte. Diesmal konnte ich sie deutlicher sehen und auch besser verstehen. Sie sprach zu mir: "Hallo Floyd, wie geht es Dir? Ich bin Blanche. Ich möchte Dich gerne kennen lernen. Hast Du Lust, mich auch kennen zu lernen?" – "Ich weiß nicht", begann ich ein wenig verwirrt, "wer bist Du?" – "Ich bin Blanche, und ich finde Dich sehr süß!" – "Aha", dachte ich, "Deine Stimme klingt sehr nett", und dann fragte ich mich, wie sie ausgerechnet auf mich kam, wo sie gerade war und was sie von mir wollte. Ich musste mich konzentrieren, um sie zu verstehen. Sie antwortete: "Ich bin gerade in der D-Ebene und fühle mich sehr, sehr wohl. Hast Du Lust, mich kennen zu lernen? Ich würde Dich gerne küssen?" Etwas überrascht von ihrer Direktheit gab ich zurück: "Ja, ... ja, warum nicht?" – "Worauf wartest Du dann noch?", drang es zu mir. Ich schloss die Augen. Jetzt konnte ich sie gut sehen, ja, fast schon fühlen.
            Dann küsste ich sie, langsam und lang anhaltend. Es war total erregend. "Das, das war wunderbar!", gab ich ihr zu verstehen. "Ja", erwiderte sie, "das war es. Willst Du mehr oder hast Du Angst?" – "Ich, ich bin, ich habe, äh, ich weiß nicht, ob wir, ob... äh, eigentlich hab' ich schon Lust, aber ich bin, äh... ich bin ein bisschen unsicher, weißt Du, ich, ich habe das noch nicht sehr oft..." – "Psssst", unterbrach sie mein Gestotter, "genieße es einfach, wir können alles machen, wozu Du Lust hast, okay? Wozu hast Du Lust, Floyd?" – "Ich, äh, ich, ich weiß nicht", fing ich reichlich verunsichert wieder an, "vielleicht, äh, vielleicht mit einem Zungenkuss und..." Bevor ich fortfahren konnte, hielt sie mit der einen Hand meinen Hals gepackt, mit der anderen strich sie mir durchs Haar, dann küsste sie mich. Wieder schloss ich die Augen ganz fest, um ihre Lippen möglichst intensiv zu spüren, ihren Atem, ihre Zunge. Dann merkte ich auf einmal, dass ich meinen Mund weit aufgerissen hatte. Verschämt machte ich ihn zu. Ich spürte meinen Kiefer. Er schmerzte.
            In diesem Augenblick war sie fast weg. "Oh, Scheiße", dachte ich, "bleib, bitte bleib!" Sie hatte mich ganz schön heiß gemacht. Ich versuchte sie wiederzubekommen, vergaß alles um mich herum, ließ mich wieder ganz auf sie ein. Langsam kam sie wieder. "Oh, Gott sei Dank, da bist Du wieder", schoss es mir durch den Kopf. "Ja, da bin ich wieder. Los, küss mich!", gab sie mir zu verstehen. Ich küsste sie, tief und leidenschaftlich. Es war atemberaubend. "Was möchtest Du, dass ich tue?", vernahm ich ihre Stimme. "Ich möchte, äh, wie wär's mit... äh, ich, ich mag's gern französisch...", begann ich zaghaft, aber äußerst angeturnt. "Französisch? Ooh, oui, mon Cheri, c'est bon, c'est bon. J'aime parler en Français, mon coeur...", fing sie an, und dann begann sie, mir was in Französisch zu erzählen. Ich verstand kein Wort mehr. "Was sollte das? Wusste sie nicht, was "französisch" bedeutete?" Ich begriff es nicht.
            Plötzlich schoss es mir durch den Kopf: "Sie war, ... sie hatte, ... sie hatte es wörtlich genommen, ... dann war sie, ... dann war sie gar kein, ... oh, Gott, sie war ein verdammter Roboter, sie war ein Hybrid! Und ich war darauf hereingefallen. Oh, Scheiße! Wie konnte ich nur? Wie konnte mir das passieren? Wäre der verdammte Sensor in Ordnung gewesen, er hätte sie entlarvt! Verflucht!" Die Sensoren waren so genial konstruiert, dass sie Hybriden sogar über telepathische Verbindungen ausmachen konnten. Sie tasteten dabei die Netzhaut der Kontaktperson über das Visualisationszentrum im eigenen Gehirn ab. Normalerweise klappte das gut, auch wenn eine Verbindung nicht so stark war, nur war meiner ja leider bei dem Anschlag draufgegangen. "So ein Mist!" Immer wieder machten sich diese Scheißteile einen Spaß daraus, sich in die TP-Kontakte von uns Menschen einzuklinken. Ich hasste das, ich hasste Hybriden überhaupt. Sie hatten so etwas Abstoßendes, Unehrliches, ich mochte sie einfach nicht! Sie waren schlimmer als Transputer, und die waren schon schlimm genug. "Ich werde mich sofort um einen neuen Sensor kümmern!", dachte ich und sprang entnervt auf.
            Zu meinem Glück war ich einer von wenigen, die einen Handsensor bekommen konnten: die wurden nämlich streng kontrolliert und waren wahnsinnig teuer, weil es so schwierig war, die hoch komplizierte Zellar-Elektronik in so einem kleinen Ding unterzubringen. Allerdings waren es noch die alten Modelle. Die neuen Hirnlappen-Taster gab es bisher nur in der großen Version, zur Festmontage. Sie in wenige Kubikzentimeter packen zu können, würde wohl noch eine Weile dauern. Ich bekam den Sensor auch nur, weil ich einer Einsatztruppe für Hybridenstörfälle angehörte. Wir waren keine Anti-Terror-Einheit, eben nur für normale Probleme oder Ausfälle vorbereitet, aber so wie es aussah, konnte es nicht schaden, sich langfristig auf Spezialeinsätze gegen Kalon-Hybriden vorzubereiten. Auch deshalb wollte ich den Job auf Ganymed. Weiterbildung konnte nie schaden. Ich trat ans Fenster. Der Server hob die Jalousien an. Schwaches Licht drang durch die schmalen Schlitze. Ich schloss die Augen, versetzte mich in eine leichte Trance und nahm Kontakt mit der zuständigen Kommandeurin auf. Gegen Abend würde ich mir dann den neuen Sensor abholen...

 

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