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Der letzte Schrei

Der letzte Schrei

Foto: Ich halte eine Palette Risperidon-Tabletten in die Kamera. Die Tablette links oben fehlt.
Klein aber oho: Risperidon

Am Mittwochabend, den sechsten November, geschah ein großes kleines Wunder. Einige Wochen zuvor hatte ich beschlossen, neue Medikamente auszuprobieren. Nachdem das erste Präparat meine motorischen Tics nach drei Wochen Einnahme endlos in die Länge zog, setzte ich es wieder ab.
Danach probierte ich das zweite Präparat aus, während ich meine alten Medikamente weiternahm. Am Abend des sechsten Novembers nahm ich etwa zwischen Viertel nach acht und halb neun eine Tablette mit einem Milligramm Risperidon ein: ein Antipsychotikum.

Um es mir verschreiben zu können, musste mir meine Neurologin eine neue Diagnose verpassen: eine Psychose. Das war mir allerdings ziemlich egal, Hauptsache, ich konnte es ausprobieren, denn es wirkt manchmal auch bei Symptomen des Tourette-Syndroms. Also nahm ich eine Tablette mit einem Milligramm Risperidon. Die Wirkung würde hoffentlich innerhalb von sechs bis sieben Tagen eintreten, wenn überhaupt.

Im Laufe des Abends schrie ich ein paarmal, wie jeden Tag und jeden Abend – nichts Besonderes also. In der Nacht war ich noch sehr munter, deshalb wollte ich noch Musik aufnehmen und begab mich gegen zwei Uhr in meinen Snoozleraum. Nachdem ich meinen Laptop hochgefahren hatte, bekam ich eine nicht enden wollende motorische Tic-Attacke, die sich erst gegen halb sechs beruhigte. Dann konnte ich endlich die Musik für die Aufnahme anstellen und mich dann ziemlich erschöpft ins Bett begeben.

Als ich im Bett lag und langsam wieder runterkam, fiel mir auf, dass ich in den dreieinhalb Stunden im Snoozleraum nicht einmal laut geschrien hatte, nicht mal ansatzweise. Ich wunderte mich über mich selbst. Normalerweise gehen heftige motorische Tic-Attacken bei mir immer mit zahlreichen lauten Schreien einher. Seltsam. Sollte das etwa bereits auf die Wirkung des einen Milligramms Risperidon zurückzuführen sein?

Nachmittags stand ich wieder auf und schaute mir meine neuen Nachrichten auf Telegram an. Meine Mutter hatte mir einen Videobeitrag geschickt. Darin erklärte ein junger Mann, dass es am Dienstag, den fünften November, also am Vortag meiner Medikamenteneinnahme, zu einer gewaltigen Zeitlinienverschiebung, also einem starken Anstieg der Schumann-Frequenzen, gekommen war.

Die Schumann-Frequenzen sind elektro-magnetische Wellen, die ständig zwischen der Erde und der Ionosphäre erzeugt werden. Sie sind quasi der Puls der Erde und haben normalerweise eine Frequenz von 7,83 Hz. Wenn Sie stark ansteigen, können Sie Unwohlsein, Schwindel, Kopfschmerzen und andere Veränderungen auslösen. In den letzten Monaten habe ich auf diese Frequenzschübe häufig mit Kopfschmerzen reagiert, scheine also sehr sensibel auf sie anzusprechen. Sollten hier zwei Ereignisse zusammengekommen sein?

Einerseits das sensible Reagieren meines Körpers auf einen starken Anstieg der Schumann-Frequenzen und andererseits eine unheimlich schnelle Wirkung des einen Milligramms Risperidon? Ich denke, ja!
Ich glaube daran! Dann habe ich tatsächlich am Abend des sechsten Novembers meinen letzten Schrei von mir gegeben! Eine wirkliche Sensation – nach über 40 Jahren täglicher heftiger Schrei-Attacken!

Nach nunmehr fünf weiteren Wochen stelle ich fest: Die Impulse, zu schreien, sind nicht ganz verschwunden; ab und zu habe ich noch das Bedürfnis, laut zu schreien, aber ich kann diese Impulse jetzt fast immer unterdrücken oder sogar weg-atmen, was vorher unmöglich schien!

Foto: Ich werfe den Kopf nach hinten und beginne, laut zu brüllen. Mein Kopf läuft dabei rot an.
Ich brülle total angespannt

Einzelne Schreie sind bis heute geblieben, aber sie tauchen erstens nur noch ganz, ganz selten auf, höchstens zwei- bis dreimal an manchen Tagen, zweitens sind die Phasen, in denen ich schreie, wesentlich kürzer geworden, und drittens schreie ich vor allen Dingen nicht mehr so extrem laut. Das heißt, diese langanhaltenden Serien mit den knallend lauten, stakkato-artig hämmernden Schreien, die meine Mitmenschen oft sehr belastet und genervt haben, die gibt es jetzt gar nicht mehr!

Welch eine Erleichterung für uns alle! Von daher bleibe ich dabei: Der finale Schrei bei meiner Brüll-Attacke am Abend des sechsten Novembers 2024 war tatsächlich der letzte Schrei!

ls

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