Textkunst von Akimaus

Freiheit durch den Kakao gezogen, oder: Eine Ode an den Imperfektionismus

Hin und wieder pflege ich es, ein Café aufzusuchen, um mich von dem Stress des Alltags zu erholen und für einen kurzen Moment innezuhalten und zur Ruhe zu kommen.
Ich beobachte in solchen Momenten gerne die Menschen um mich herum und lasse den Blick schweifen – auf die Teller der anderen, in die Gesichter und fremden Augen. Ich erlebe mich in jener Szenerie als Teil eines Stromes innerhalb der Menschenmenge, die dort geschäftig plaudert und genauso wie ich die Zeit nutzt, um soziale Kontakte zu knüpfen und abzuschalten.

Neben einem Caffè Latte gönne ich mir ab und zu einen Kakao.

An das Geschmackserlebnis einer selbst gemischten Tasse von zu Hause kommt der Restaurant-Kakao nicht heran.

Ich finde es sehr schade, dass der Kakao immer warm, ja mitunter regelrecht heiß serviert wird. Auch auf meine Bitte, ihn kalt anzurichten, sagte man mir, man könne es nicht umsetzen, da sonst das Kakaopulver kleine Klümpchen bilden würde und es deshalb nicht ginge.

Unter uns gesagt, sehr geehrte Leser, die den Text gerade vor Augen habt – ich liebe diese Kakao-Klümpchen. Kalter Kakao bietet so viele Vorteile: Er ist erfrischend, man kann ihn zu jeder Jahreszeit genießen, und man verbrennt sich nicht die Zunge an einer oftmals so trügerisch wirkenden Schaumschicht.
Die Kakao-Klümpchen bilden regelrecht eine Geschmacksexplosion, wenn man sie sanft mit den Lippenspitzen aus der Milch heraus einsaugt und sie anfangen, sich im Mund aufzulösen. Das Kakaopulver zerplatzt in der Mundhöhle und beginnt, diese mit einer Entladung an Schokolade auszufüllen.

Dieses wohltuende Erlebnis wird mir im Restaurant verwehrt.

Daher meine Frage: Warum immer Perfektion anstreben, wenn doch das Vollkommene in der Unperfektheit liegt, die uns begegnet?

Sind die 80 % an Tagesleistung nicht viel mehr wert als die 130 %, wenn dadurch jede Menschlichkeit entbehrt wird?

Mein Vater hatte immer sein Ordnungsprinzip – alles war in Struktur geronnen. Meine Mutter hingegen war kreativer, und sie erklärte mir schon früh, sie wolle ein ordentliches Zimmer, aber gleichzeitig sollten hereintretende Fremde erkennen, dass man „lebe“.
Dieses Am-Leben-Sein, diese kreative Ader, sich auszutesten – diese ganz eigene Struktur im scheinbar anmutenden Chaos –
macht uns das nicht erst zu Unikaten, zu wahrhaften Individuen unserer selbst?

Also, wieso einem Kunden das Recht absprechen, seinen Kakao mit Klümpchen zu bekommen, wenn dieser Kunde eben jene Bitte danach richtet?

Wieso versuchen, alle Menschen in eine Form von Ordnung zu pressen? Ist es etwa der Versuch, Abläufe skalierbar und repetitiv zu gestalten? Ist meine Bitte nach diesem Kakao in der Öffentlichkeit schon ein Ausbruch aus einem nicht vorgesehenen System?
Wo bleibt die wahre Lebendigkeit, wenn alles nur in gewissen dafür vorgesehenen Rahmen und Nischen ablaufen darf?

Wann haben wir als erwachsene Personen aufgehört, Kind zu sein, aus Spaß an der Freude aus sich heraus zu agieren und die Welt mit offenen, leuchtenden Augen zu erkunden – glückselig über die eigene Existenz?

Können wir diesen vorgegebenen Schablonen überhaupt grundsätzlich entkommen? Ich denke nicht, denn dazu leben wir in einem Gesellschaftssystem, das uns Regeln vorgibt und die wir als Kollektiv stetig reproduzieren. Dennoch bin ich sicher, dass jeder von euch – von uns allen – eine Form des Ausbruchmomentums genießt, auch wenn wir uns stets in Bezügen eingerahmt vorfinden.

Darauf erst mal einen kräftigen Kakao mit kleinen Klümpchen.

 

Akina, 29.01.2025

 

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